JÜRGEN VOGEL ÜBER »DER FREIE WILLE«
WIE FÜHLT ES SICH AN? Jürgen Vogel redet über sich, seine Kindheit und über »Der freie Wille«
Die Kritik zum Film Sie haben sich einmal als bekennenden Selbstdarsteller bezeichnet. In Deutschland gibt es so ein Klischee: Man geht zur Schauspielschule, spielt Rollen und hat Spaß daran, jemand anderes zu sein. Im Gegensatz dazu fühle ich mich eher als Selbstdarsteller, das heisst, dass ich Figuren gerne mit dem ausfülle, was ich kenne. Es geht mir nicht darum, ein toller Schauspieler zu sein, der in die unterschiedlichsten Charaktere hineinschlüpfen kann, sondern darum, in jeder Figur auch von mir zu erzählen und durch die Schauspielerei zu mir hinzufinden. Und was haben Sie in der Rolle des Vergewaltigers herausgefunden? Diese Figur hat ganz viel mit mir zu tun. Bei der Recherche haben wir einiges über Sexualstraftäter erfahren. Dann hätte man nun die Möglichkeit, eine dieser Biografien zu nehmen und daraus die Filmfigur zu entwickeln. Aber auf diese Weise würde ich nicht den richtigen Kontakt zur Figur finden. Dafür musste ich erst einmal alle unsere Erkenntnisse wieder vergessen und mir sagen: Das bin jetzt ich, der das getan hat. Mir ging es um Ehrlichkeit, das heißt gewisse Emotionen zulassen und sehen, wie sie sich entwickeln. Was soll die Entdämonisierung eines Vergewaltigers bewirken? Die wichtigere Frage ist doch eher: Was bewirkt eine Dämonisierung? Die Reduzierung auf Schlagzeilen ist nicht dienlich, wenn man etwas verstehen will. Unser Film versucht Dinge zu verstehen und herauszufinden, wie man sie ändern kann. Dabei geht es nicht darum, Theos Taten zu entschuldigen. Es geht um die Frage: Was haben wir damit zu tun? Trotzdem verweigert der Film psychologische Erklärungsmuster. Wir haben nie versucht, aus Theo ein Opfer zu machen. Er bleibt ganz bewusst von Anfang bis zum Ende ein Täter. Für Vergewaltigung gibt es keine Entschuldigung. Es geht nicht darum, warum er es tut, sondern wie es sich anfühlt, wenn er es getan hat und wie damit umgegangen wird. Sie haben einmal gesagt, dass die Gründe ihrer Kunst in den ersten 15 Jahren Ihres Lebens liegen, die nicht sehr glücklich verlaufen sind... Wie bei jedem Menschen, waren bei mir Kindheit und Jugend sehr prägend. Es gibt zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Man kann vor der Vergangenheit wegrennen und die eigene Kindheit bekriegen. Ich habe schon viele Menschen scheitern sehen, die das versucht haben, und dann irgendwann im Suff merkt man, dass sie darunter immer noch wahnsinnig leiden. Ich habe mir dagegen gesagt: Es muss doch einen Grund haben, warum mein Leben so und nicht anders verlaufen ist. Was kann ich aus diesen Erfahrungen machen und wie kann ich sie in etwas Positives umwandeln? Ich will meine Erfahrungen nutzen. In der Zeit wurden Sie mal als "Schicksalsprügelknabe des deutschen Kinos" bezeichnet. Es stimmt schon, ich mache es mir nicht einfach mit meinen Rollen. Wenn ich einen Preis bekomme, frage ich mich manchmal, ob ich nicht stellvertretend für das Proletariat ausgezeichnet werde, damit die Gesellschaft das schlechte Gewissen, das sie gegenüber dieser Schicht hat, loswerden kann. Das will ich auf keinen Fall. So leicht kommt Ihr mir nicht davon! Interview: Martin Schwickert
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