Thomas Vinterberg über »Dear Wendy«

EIN STÜCK METALL

Der Film zum Interview



Über Pazifisten mit Waffen und die Ängste des Drehbuchautors Lars von Trier



Die Altersfreigabe für Ihren Film ist "ab 18", was mich wundert.
Das ist eine Katastrophe.
Wie ist es in anderen Ländern?
Ich weiß es nicht genau, weil der Film dort noch nicht raus ist. Ich glaube, in den USA habe ich ein R-Rating, was 16 oder 17 bedeutet. Das ist wirklich schade, weil ich diesen Film hauptsächlich für junge Menschen gemacht habe. Und wenn ich ihn mit jungen Leuten gesehen habe, war es ein sehr befriedigendes Gefühl. Sie sehen einen Film über Menschen, die mit dem Leben unzufrieden sind und etwas Größeres schaffen wollen, als das, was ihnen die Gesellschaft zugesteht. Zum Ende des Films haben sie die Wahl: entweder in den Tod gehen oder sich dem täglichen grauen Leben zu ergeben. Und damit können sich junge Leute identifizieren.
Da wären noch die Handfeuerwaffen
Ich will das Territorium zwischen menschlichen Wesen und Handfeuerwaffen ergründen. Diese fast schon Freudsche sexuelle Beziehung. Ich denke, dass dies ein Film ist, den Lehrer ihren Schülern zeigen können, um mit ihnen nachher darüber zu diskutieren. Man kann sich natürlich fragen, ob dieser Film Menschen zum Schießen animiert. Ob er unverantwortlich ist. Ein paar Leute haben das auf dem Weg aus dem Kino gesagt. Ich glaube, dass Gewalt in Filmen nicht notwendigerweise zur Gewalt ermuntert. Sie zwingt dich, sich mit ihr zu beschäftigen und schafft es vielleicht sogar, Aggressionen in etwas anderes zu verwandeln.
Die Beziehung zu Feuerwaffen wird als fast erotisch dargestellt. Sie haben sogar Namen.
Jeder weiß, dass es sich dabei um eine Provokation handelt. Jeder weiß, dass eine Waffe kein liebenswerter Charakter ist, sondern ein Stück Metall.
Ist »Dear Wendy« ein Kommentar zu den US-Waffengesetzen?
Der Film spielt in Amerika, und das aus vielen Gründen. Einer davon ist, dass Amerika eine sehr liberale Waffengesetzgebung hat. Dennoch ist es kein arrogantes Filmprojekt, das gegen Amerika spricht. Das Drehbuch wurde schließlich von Lars von Trier geschrieben, der nie einen Fuß auf amerikanischen Boden gesetzt hat.
Was ist »Dear Wendy« also?
Es ist eine Satire. Und bei einer Satire kann man nie sagen, sie sei "Anti". Genau genommen ist der Film auch eine Satire auf das europäische Selbstverständnis. Europäer sitzen gern auf dem Zaun und tun nichts aber reden sehr viel darüber.
Ihre waffentragenden Charaktere sind ausgerechnet Pazifisten.
Wenn ich zugebe, dass es interessant ist, eine Waffe in der Hand zu halten, gibt es sehr interessante Reaktionen. Gerade die Männer können schon verstehen, was ich meine. Waffen geben vielen Menschen Macht in die Hand, die eigentlich keine Macht haben sollten. Also ja: mein Film ist definitiv ein Film über Pazifisten, die zugeben, dass sie von Waffen fasziniert sind.
Besitzen Sie Waffen?
Nein. Ich habe in vorherigen Interviews mal behauptet, dass ich nie eine Waffe abgefeuert habe, aber das war nicht korrekt. Ich bin zwar in einer Hippie-Kommune aufgewachsen, aber ich habe schon einmal geschossen, zusammen mit meinem Schwiegervater. In die generelle Richtung eines Vogels, den ich natürlich vollkommen verfehlt habe.
Wie würden sie das Genre des Films bezeichnen?
Es ist ein Jugendfilm. Was zum Beispiel ist der Breakfast-Club?
Ein Coming-of-Age-Film.
Okay, falscher Film. Dann eben Uhrwerk Orange.
Was als Spiel oder Club beginnt, nimmt später ein schlimmes Ende...
Ich fand es sehr wichtig, dass die jungen Leute vor eine Wahl gestellt werden: ein enttäuschendes Leben oder der Tod. Die fiktionale Welt, wird mit der Realität konfrontiert werden müssen, und das so brutal wie möglich. Außerdem war da ein alter Linker in mir, der sagte: Spiel nicht mit Waffen. Das ist gefährlich.
Ihr Film ist eigentlich von der Machart sehr amerikanisch?
Es freut mich, dass Sie das sagen, ich habe auch schon das Gegenteil gehört. Ich wollte einen Film machen, der politische Fragen aufwirft. Um das zu tun, muss ich aber eine konventionelle Sprache sprechen.
Wie verrückt ist Lars von Trier?
Nicht so verrückt. Aber er hat viele Ängste. Das einzige, was er im Leben nicht fürchtet, ist das Filmemachen.

Interview: Karsten Kastelan