INTERVIEW »Was rede ich da überhaupt?«
In der Rolle des Nero in »Quo vadis?« (1951) wurde Peter Ustinov (geb. 1921) berühmt. Seit sich in seinen Augen die Flammen von Rom spiegelten, hat er eine beispiellose Karriere als Schauspieler, Autor, Regisseur und Entertainer auf den Weg gebracht. Manche bezeichnen Ustinov als eigenes Gesamtkunstwerk. Auf jeden Fall ist der Schauspieler, der in über 40 Filmen mitwirkte und zweimal mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, ein bekennender Kosmopolit. Das steckt in der Familie. Die Mutter Französin, der Vater Deutscher russischer Herkunft wanderte nach England aus, wo Peter Ustinov lebte und arbeitete und 1990 von der Queen den Ritterschlag erhielt. Seit mehr als dreißig Jahren reist Sir Peter als Botschafter von UNESCO und dem Kinderhilfswerk UNICEF durch die Welt und hat sich für Eric Tills »Luther« noch einmal vor die Kamera gestellt. Hier spielt der 82-jährige den sächsischen Kurfürsten Friedrich den Weisen, der Martin Luther vor der katholischen Inquisition in Schutz nimmt.
Nero, Herodes, Richard III. Sie haben schon viele Herrscher auf der Bühne und im Film gespielt. Worin unterscheidet sich Friedrich der Weise von seinen Amtskollegen? Ustinov: Friedrich ist ein sehr interessanter Mann. Er war nicht wirklich überzeugt, dass Luther Geschichte machen wird. Er wusste nur, dass Luther ein sehr begabter Universitätsprofessor war, der neue Ideen hatte, in einer Zeit, in der das nicht erlaubt war. Das hat Friedrich stimuliert und er war sehr stolz, dass Wittenberg einen solch zentralen Platz in der Reformationsbewegung einnahm. Wie genau nimmt es der Film mit der Historie? Ustinov: Wir haben eine Szene hinzugefügt, in der Luther Friedrich die deutsche Übersetzung der Bibel überreicht. Ich wollte, dass die beiden sich treffen, weil es nicht genügt, dass Friedrich durch ein Fenster schaut und sagt: "Da unten der zweite von links, der mit dem kahlen Kopf - das ist Luther". Wir haben große Schwierigkeiten gehabt mit den Theologen, die uns beraten haben. Das waren sehr amerikanische Lutheraner. Die haben ihre Arbeit überaus ernst genommen und wollten alles historisch ganz akkurat haben. Sie sagten: "Es gibt keine Akten darüber, dass die beiden sich jemals getroffen haben". Und ich habe geantwortet: "Über die meisten wichtigen Gespräche in dieser Welt gibt es keine Akten". War Luther ein christlicher Revolutionär? Ustinov: Luther hat sich beklagt, dass Rom nicht katholisch genug war. Er war dagegen, dass man zur Kasse ging und sich für 2000 Lire einen Platz im Himmel reservieren konnte. Er sagte: Das ist Korruption. Und er hatte recht. Luther war ein praktischer Mensch. Im Film wird das nur angedeutet, aber er lebte mit einer abtrünnigen Nonne sehr fröhlich zusammen. Ich finde, dass die katholischen Priester auch heiraten sollten. Dann werden vielleicht weniger von ihnen pädophil. Welche Bedeutung haben der religiöse Unterschiede heute noch? Ustinov: Religion ist eine Temperamentssache, die auch sehr stark vom Klima abhängt. Eine katholische Zeremonie mit Marienstatuen und allem Drum und Dran ist in Lappland schwer vorstellbar. Ein eher kaltes, religiöses Gefühl wird man auf Sizilien nicht finden. Trotzdem bekriegen sich die Menschen z.B. in Jugoslawien wegen ihrer unterschiedlichen Religionen. Serben und Kroaten sprechen dieselbe Sprache, aber der eine ist katholisch, der andere orthodox. Das ist absurd. Sind Sie selbst ein religiöser Mensch? Ustinov: Ich glaube an die praktischen Sachen der Religion, dass man nicht töten soll usw.. Ich bin in die sehr noble Westminster-Schule gegangen, und wir mussten jeden Morgen in der Abtei schwören "Ich glaube in diesen einen Gott". Irgendwann dachte ich: "Was rede ich da überhaupt?" Ich weiß nicht, ob es nur einen Gott gibt oder nicht. Aber wenn es nur einen gibt, ist es scheußlich, dass wir um ihn kämpfen. Man muss natürlich auch Überzeugungen haben. Aber man muss sie durchdenken und die Möglichkeit haben, sie zu ändern. Demokratie baut darauf auf, dass man seine Meinungen wechselt. Was tödlich ist, sind vererbte, traditionelle, gefrorene Meinungen. Trotzdem spielen Sie in einem Film mit, der von amerikanischen Lutheranern finanziert wurde und recht offen für die Sache des Protestantismus wirbt? Ustinov: Ich bin Schauspieler. Die darf man nicht zu wichtig nehmen. Schließlich habe ich auch Nero gespielt und das heißt nicht, dass ich für den Brand von Rom bin. Woran glaubt Peter Ustinov? Ustinov: Ich glaube an nichts, aber ich bin immer bereit, in jedem Augenblick erstaunt zu sein. Der Zweifel ist sehr wichtig in dieser Welt. Er ist der Ansporn zu unserem Denken. Überzeugungen schlafen immer wieder ein. Der Zweifel kann sich nicht erlauben einzuschlafen. Überzeugungen trennen die Leute. Zweifel verbinden die Menschheit. Wie wichtig ist für Sie heute noch die Schauspielerei? Ustinov: Sehr unwichtig. Aber es war ein gutes Gefühl, wieder im Sattel zu sitzen. Was ist für Sie heute am wichtigsten? Ustinov: 83 zu werden. Größere Pläne darf ich in meinem Alter nicht mehr haben.
Interview: Martin Schwickert
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