ROBERT THALHEIM ÜBER »AM ENDE KOMMEN TOURISTEN«

Zeit ohne Zeugen

Robert Thalheim über seinen Film »Am Ende kommen Touristen« und den Unterschied von Auschwitz und Oswiecim


Die Kritik zum Film

Sie haben selbst in Auschwitz Zivildienst gemacht. Warum haben Sie sich für diesen Ort entschieden?
Ich war sehr idealistisch und bin mit einem sehr klaren Weltbild nach Auschwitz gefahren, hatte tolle Schlagworte, warum es wichtig ist, sich mit der deutschen Vergangenheit auseinander zu setzen und welche Lehren man daraus ziehen sollte. Aber komischerweise: Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, je kleinteiliger das Thema wurde, desto größer wurden meine Fragen. Wie soll man mit der Geschichte umgehen? Ist so ein Museum wirklich der richtige Platz dafür? Ist es richtig, 14jährige Jugendliche vor eine Vitrine mit einem Berg von Haaren zu stellen?
Sie sind also ganz anders an die Aufgabe herangegangen als Ihr Protagonist Sven.
Wir haben lange an dieser Figur herumprobiert. Mir war klar, welche Menschen und Situationen ich an dem Ort zeigen möchte. Aber wer sollte das Publikum eigentlich hineinführen in diese Welt? Wir haben schnell gemerkt, dass es sehr allergische Reaktionen auf zuviel Gutmenschentum und Idealismus gab. Entweder landete man bei einer Komödie oder bei Figuren, die als unsympathisch empfunden wurden.
Warum werden Idealisten heute als unsympathisch empfunden?
Das finde ich auch merkwürdig. Aber auf der anderen Seite sagen einem Jugendliche oft, dass sie das Thema ausführlich in der Schule bearbeitet haben und nichts mehr davon hören wollen. Durch diesen Film bekommen sie eine andere Perspektive auf das Thema. Und das erreicht Sven, der unbedarft und ohne große Formeln dahin kommt und doch reingezogen wird in diesen widersprüchlichen Ort.
Gibt es ehemalige Häftlinge wie Krzeminski, der nach seiner Befreiung in Auschwitz geblieben ist, auch in Wirklichkeit?
In den 50ern herrschte Wohnungsmangel und da haben sie das am besten erhaltene Gebäude, die ehemalige Kommandantur, ausgebaut und dort für die Museumsmitarbeiter Wohnungen eingerichtet. Der ehemalige Direktor des Museums ist heute der letzte, der dort noch lebt. Aus seinem Küchenfenster schaut er auf das Lager, tagsüber sitzt er auf dem Parkplatz vor dem alten Aufnahmengebäude, raucht seine Zigaretten und schaut sich die Touristen an.
Wie hat sich die Funktion der ehemaligen Häftlinge im "Erinnerungsbetrieb" verändert?
Früher waren die Zeitzeugen das Zentrum der Begegnung mit diesem Ort. Vor fünf Jahren gab es die Situation, dass die moderne Museumsleitung, die ein wirklich sehr gutes pädagogisches Konzept hat, in Frage stellte, ob ein ehemaliger Gefangener ohne pädagogische oder historische Ausbildung, überhaupt weiter Gruppen durch das Lager führen sollte. Dieser tragische Widerspruch, dass die eigentlichen Zeugen ins Abseits geraten oder nicht mehr die besten Vermittler ihrer eigenen Geschichte sind, hat mich interessiert.
Wie sind Sie filmisch mit dem Drehort Auschwitz umgegangen?
Ich wollte nicht über den Ort Emotionen erzeugen. Man sieht das in jeder Dokumentation. Da kommt die Geigenmusik aus dem Off, dann wird im unscharfen Bild der Stacheldraht gezeigt - das funktioniert für mich nicht. Ich wollte den Ort aus den Augen derjenigen zeigen, die dort wohnen. Die Jugendlichen von Oswiecim gehen am Lager vorbei zum Schwimmen. Die Badestelle heißt bei ihnen "Villa Höß", weil der Lagerkommandant oberhalb der Badestelle sein Anwesen hatte.
Welches Verhältnis haben die Bewohner zur Gedenkstätte?
Auschwitz ist für alle Polen ein sehr emotionaler Ort. Jeder hat in der Familie Opfer aus der deutschen Okkupation. Aber ganz konkret für die Einwohner ist es merkwürdig, weil ihre Stadt auf der ganzen Welt mit den deutschen Verbrechen gleichgesetzt wird. Egal wo sie hingehen, wenn sie sagen aus welcher Stadt sie kommen, ist die Party versaut. Auf der anderen Seite sehen sie, dass eine Millionen Menschen jährlich mit ihren klimatisierten Bussen aus Krakau in ihre Stadt kommen und sich überhaupt nicht für sie interessieren.

Interview: Martin Schwickert