ORT DER WAHRHEIT
Morgan Spurlock über die Macht der Konzerne und Super Size Me
Warum sind die Amerikaner so süchtig nach Fast Food?
Wenn man zu viel Fett und Zucker zu sich nimmt, verlangt der Körper immer mehr davon. Und schon steht man im Laden und kauft Süßigkeiten, Limonaden und Kuchen. Es wird eine Gewohnheit, über die man nicht mehr nachdenkt.
Steckt dahinter nicht auch ein gute Portion Selbstverachtung?
Im Fernsehen und in Magazinen sehen wir all die tollen, schlanken, gut aussehenden Leute. Aber die meisten von uns werden nie in ihrem Leben so dünn sein wie Gwyneth Paltrow oder so gut aussehen wie Brad Pitt. Trotzdem wird es irgendwie von uns erwartet. Aber gutes Aussehen ist nicht einfach. Man muss hart arbeiten, um abzunehmen und sich einen Waschbrettbauch anzutrainieren. Da ist es natürlich einfacher sich noch ein Bier einzuschenken und zu sagen: morgen fange ich mit der Diät an, morgen gehe ich ins Fitnessstudio.
Warum kann McDonalds nicht einfach gesünderes Essen verkaufen?
McDonalds gibt damit an, dass sie im letzten Jahr 150 Millionen Salate verkauft haben. Das klingt imposant. Aber man muss wissen, dass täglich 46 Millionen Menschen bei McDonalds essen. Das sind fast 17 Milliarden im Jahr. Das heißt nur ein Prozent der Besucher haben dort einen Salat gegessen. Wer zu McDonalds geht, will Big Macs, Pommes und Milchshakes. Und damit verdienen sie ihr Geld.
Sollten die Fast-Food-Konzerne, ähnlich wie die Tabakindustrie, vor Gericht gestellt werden?
Die Tabakindustrie hat über Jahrzehnte die Menschen systematisch belogen. Sie haben behauptet, dass sie keine Suchtstoffe hinzusetzen und sogar bestritten, dass Zigaretten krebserregend sind. Den Fast-Food-Konzernen hingegen kann man so etwas nicht nachweisen. Ich persönlich glaube, dass es bessere Wege als ein Gerichtsverfahren gibt, um sich mit diesen Konzernen auseinander zu setzen.
Ihr Film zeigt McDonalds auch als sehr machtvolles Industrieunternehmen. Wie haben Sie als Filmemacher die Macht dieses Unternehmens zu spüren bekommen?
Die Unternehmen werden immer größer und strecken ihre Tentakel auf ein immer breiteres Geschäftsspektrum aus. Wir haben den Film in Sundance gezeigt und er ist eingeschlagen wie eine Bombe. Alle großen Hollywood-Studios haben sich den Film angeschaut, und alle kamen nachher an: "Mein Gott wir lieben Ihren Film - aber wir können ihn nie und nimmer herausbringen." Die Studios sind auf die Geschäftsbeziehungen zu den Fast-Food-Konzernen angewiesen. Sie brauchen McDonalds für ihre Merchandising-Kampagnen, sie brauchen ihre Figuren auf dem Becher und die Bilder in den Schaufenstern. Keine der vier großen kommerziellen TV-Sender in den USA wird diesen Film zeigen, weil sie von den Werbeeinnahmen der Fast-Food-Unternehmen abhängig sind.
Wie offensiv muss man heute als Dokumentarfilmer sein, um sein Publikum zu erreichen?
Wir leben in Zeiten, in denen die Menschen nicht gerne zuhören. Man muss um ihre Aufmerksamkeit kämpfen. Mir war es wichtig, dass der Film unterhaltsam ist. Denn wenn die Leute anfangen zu lachen, verlieren sie ihre Barrieren und sie nehmen die Information auf, bevor sie es selbst realisieren.
Gewinnt der Dokumentarfilm in den USA wieder an Bedeutung?
Ja, das hoffe ich. Michael Moores neuer Film startet jetzt mit über 1000 Kopien. Das ist der größte Start eines Dokumentarfilms in den USA. Wir leben heute in einem Land, in dem wir nur wenig von der Wahrheit zu sehen bekommen, weil die Wahrheit durch die Medien und die Interessen der Großunternehmen, die hinter ihnen stehen, mehrfach gefiltert wird.
Ist das Kino ein besserer Ort für die Wahrheit?
Auf jeden Fall. Wenn man einen Independent-Film dreht, redet einem niemand rein. Im Fernsehen ist man immer abhängig von den Großunternehmen, die bestimmen letztendlich, was herausgeschnitten wird.
Was bedeutet Ihr Film für Europa, wo die Fast-Food-Kultur noch nicht so dominant ist wie in den USA?
Ich war gerade in Paris und habe gesehen, dass sich dort "Starbucks" immer mehr ausbreitet - in Paris, der Stadt mit den besten Cafés auf diesem Planeten! Nach dem bewährten Motto "Teile und herrsche!" exportieren wir unseren American Way of Live als Franchise-Unternehmen in die ganze Welt. Ich hoffe, dass mein Film in den europäischen Ländern als Warnung verstanden wird.
Interview: Martin Schwickert