MARJANE SATRAPI ÜBER »PERSEPOLIS« DAS ENDE DER PATRIARCHEN Exil Revolte und die Rolle der Frauen im Iran Die Kritik zum Film
Ist Humor die beste Waffe gegen eine Diktatur? Meiner Meinung nach schon, aber ich habe deshalb auch viel Kritik einstecken müssen. Für manche Leute ist das Sujet mit zu vielen schmerzhaften Erinnerungen verbunden, als dass sie darüber lachen könnten. Für mich ist Humor eine Frage des Überlebens. Als "Persepolis" in Cannes Premiere hatte, hat der iranische Kultusminister gegen die Aufführung des Films protestiert. Ich finde es ein bisschen seltsam, dass erst jetzt mit der Aufführung des Films in Cannes eine offizielle Reaktion kommt, obwohl die Comics schon Jahre auf dem Markt sind. Glauben Sie die DVD wird demnächst in Teheran - genauso wie in Ihrem Film die Musik von Michael Jackson und Kim Wilde - konspirativ auf dem Schwarzmarkt verkauft? Ja, genau wie alles andere auch. Die Leute im Iran finden immer einen Weg an verbotene Literatur, Musik oder Filme heranzukommen. Wie realistisch ist Ihr Zeichentrickfilm? Natürlich rekonstruiere ich die Realität nicht genauso, wie sie war. Schließlich ist dies keine Dokumentation über mein Leben, sondern eine Geschichte. Die Gefühle, die ich den jeweiligen Momenten in meinem Leben hatte, versuche ich jedoch so wahrheitsgetreu wie möglich zu beschreiben. Dennoch: Egal wie persönlich eine Geschichte ist, sobald ich anfange zu zeichnen und zu schreiben wird daraus Fiktion. Es geht nur noch um die Figur und nicht um mich. Schließlich bin ich ja eine Comic-Autorin und keine Journalistin. Gegenüber dem islamischen Fundamentalismus, der das öffentliche Leben im Iran bestimmt, erscheint ihre Familie im Film als Festung der Liberalität. Ich bin in einer sehr weltoffenen Familie aufgewachsen, konnte meine eigenen Erfahrungen machen und ins Ausland reisen. Aber der eigentliche Reichtum meiner Familie war der freie Geist, der bei uns herrschte. Meine Eltern haben nie gesagt: Das kannst du nicht, weil du ein Mädchen bist. Schon mit elf hat mein Vater mir beigebracht, wie man Auto fährt und einen Ölwechsel macht. Wenn man als Exil-Iranerin einen Film wie "Persepolis" macht, muss man damit rechnen auf absehbare Zeit nicht wieder in sein Heimatland zurückkehren zu können. Natürlich habe ich mir diese Frage immer wieder gestellt, aber für mich war es einfach notwendig dieses Buch und diesen Film zu machen. Auch wegen der Vorurteile, die im Westen gegenüber dem Iran und dem Nahen Osten vorherrschen. Ich wollte eine Innenansicht liefern. Nicht die allein selig machende Wahrheit, sondern einfach eine andere Sicht, die viele Fragen offen lässt. Nur die Fanatiker haben auf alles eine Antwort. Deshalb begreife ich meinen Film auch als Arbeit gegen den Fanatismus. Heute sind 65% der Studierenden im Iran Frauen. Glauben Sie, dass das die iranische Gesellschaft verändern wird? Wie schätzen Sie die aktuelle Situation im Iran ein? Der größte Feind der Demokratie ist die Kultur des Patriarchats. In einer patriarchalen Familie ist der Vater der Chef, in einer Diktatur ist der Diktator der Vater der Nation. Ich glaube, dass all diese Frauen, die jetzt studieren und ökonomisch unabhängig werden, ein wichtiger Schritt in Richtung Demokratisierung sind. Aber wir wissen natürlich auch, dass der Iran aufgrund der heutigen weltpolitischen Lage keine guten Ausgangsvoraussetzungen für eine Demokratisierung hat. Wenn die USA gegen den Iran in den Krieg ziehen sollten, wird das Regime im Namen des Kampfes gegen den äußeren Feind auch die innere Opposition ausmerzen. Politische Veränderungen müssen von innen wachsen. Sie lassen sich nicht herbeibomben. Man muss sich nur die Entwicklungen in Afghanistan und Irak anschauen - wie kann man da nur auf die Idee kommen, dass ein Krieg gegen den Iran eine Lösung ist? Interview: Martin Schwickert
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