INTERVIEW MIT KIM SHERIDAN

DIE TRAUER VERGESSEN

Regisseur Jim Sheridan über seinen neuen Film »In Amerika«


»In America« beruht auf Ihren eigenen Erlebnissen als irischer Emigrant in New York.
Neunzig Prozent von dem, was im Film vorkommt, ist mir selbst passiert. Wir sind damals über die kanadische Grenze illegal in die USA eingereist und haben in New York nur schwer eine Wohnung gefunden. Meine Frau war schwanger und wir wussten nicht, wie wir unsere Rechnungen bezahlen sollen. Ich habe sogar diese Klimaanlage gestohlen und bei dem Versuch auf dem Jahrmarkt eine blöde ET-Puppe für meine Kinder zu gewinnen, beinahe unser ganzes Geld verloren. Ich hatte all die Episoden im Kopf, aber daraus wurde kein Film. Auf der anderen Seite wollte ich schon lange einen Film über meinem Bruder machen, der in dieser Zeit gestorben war. Die Erlebnisse vermischten sich, und während des Schreibens wurde mein eigenes Leben zur Fiktion. In jeder Figur dieses Films steckt ein wenig von mir selbst drin.
Ist Amerika ein guter Ort, um seine Trauer zu vergessen?
Das verrückte an Amerika ist, dass ich dort noch nie einen Trauerzug auf der Straße gesehen habe. Wie immer sie es auch anstellen, sie kriegen ihre Toten sehr schnell unter die Erde. In »In America« geht um Menschen, die trauern und lernen, ihre Trauer loszulassen. James Joyce war immer in solche Leute verliebt. Die Iren tun sich sehr schwer damit, ihre Toten gehen zu lassen.
Hat sich mit dem magischen Realismus auch ein wenig irische Erzähltradition eingeschlichen?
In den magischen Realismus bin ich mehr oder weniger hineingestolpert. Ich hatte das Gefühl, dass man ein wenig Magie braucht, um über die Welt der schweren Gefühle hinwegzukommen. Ich wollte keinen hoffnungslos traurigen Film machen, sondern dass das Publikum mit den Figuren verbunden bleibt und auf andere Weise mit den Gefühlen umgeht.
Ihre früheren Filme wie »Im Namen des Vaters« waren sehr wütende Filme über die Zustände in Ihrem Heimatland Irland. Könnten Sie sich auch vorstellen einen wütenden Film über Amerika zu machen?
Ich könnte mir vorstellen, einen Film zu machen, der die Zeit der Prohibition in einem neuen Licht zeigt. Das erste Mal in der westlichen Zivilisation wurde damals ein Bann auf das Trinken ausgesprochen. Der puritanische, calvinistische Instinkt kontrollierte die Städte. Bisher wurde diese Geschichte immer nur aus der Gangsterperspektive erzählt. Aber man kann die Prohibition als einen Bürgerkrieg gegen die Iren und Italiener ansehen, denen damals ihre einzige Industrie genommen wurde, die sie besaßen.
Verstehen Sie sich mehr als europäischer oder als amerikanischer Filmemacher?
Ich bin sicher eher europäisch geprägt, aber ich muss die Dinge durch die Brille des amerikanischen Kinos sehen, um dort meine Filme verkaufen zu können. Das ist meine einzige Chance. Das europäische Kino ist zu wenig aggressiv und geht vor dem US-Kino in die Knie. Das ist schrecklich. Die europäischen Verleiher sollten einfach ein paar Kinos in New York, Chicago und L.A. kaufen und dort europäische Filme zeigen und vertreiben. Nur wenn man eigenen Besitz erwirbt, bekommt man in den USA einen Platz im Regal des großen Supermarktes.
Interview: Martin Schwickert