DEMÜTIG & FREUDLOS
Man kann daran sterben, dass alle es nur gut meinen
Die Kritik zum Film
Woran leidet Michaela Klinger?
Michaela leidet an sich selbst, an ihren Ängsten und Unzulänglichkeiten. Es ist eine Geschichte ohne äußere Feinde. Niemand legt ihr Hindernisse in den Weg. Die Wahnvorstellungen kommen aus ihr selbst und dem, was die Erziehung ihr als Gepäck mit auf den Weg gegeben hat. Wenn Epileptiker halluzinieren, und das tun sie oft, dann kommen meistens auch Ängste aus der gesellschaftlichen Schicht, die sie umgibt, zum Vorschein.
Ist Michaelas starke Religiosität ein Ventil, durch das sich der Wahn seinen Weg bahnt, oder eher dessen Ursache?
Die Religiösität ist schon auch sehr stark die Ursache der Wahnvorstellungen. Die Glaubenswelt ihrer Familie ist ein geschlossenes Wertesystem. Je nach dem, wie man den Glauben für sich selbst auslegt, geht das von sehr einfacher Volksfrömmigkeit bis hin zum Aberglauben. Man kann sich die dunkle oder die freundlichere Seite der christlichen Botschaft heraus suchen. Die Klinglers führen ihr Leben mit einer gewissen Demut und Freudlosigkeit, mit vielen Normen und Tabus.
Michaelas Geschichte beruht auf dem Fall der Anneliese Michel. Was hat Sie daran interessiert?
Anneliese Michel wurde nach ihrem Tod als Märtyrerin verehrt, ihr Grab hat sich zu einem Wallfahrtsort entwickelt. Das Glaubenssystem, in dem sie groß geworden ist, hat versucht, ihrem Leid einen Sinn zu geben. Man hat geglaubt, sie sei eine Sühneleidende, und das endet eben manchmal erst mit dem Tod und bringt die nachfolgende Heiligenverehrung mit sich. Mich hat vor allem das Dramatische an der Geschichte berührt. Die Situation, dass Anneliese Michel eigentlich niemanden hatte, an den sie sich mit ihren Kummer wenden konnte, weil alle es nur gut mit ihr meinten.
Glauben Sie, dass ein Fall wie dieser heute noch möglich ist?
Man sollte eigentlich glauben, dass es so etwas heute nicht mehr gibt. Aber man hätte es auch in den 70ern nicht für möglich gehalten. Seit ich mich mit dem Thema beschäftige, fallen mir immer wieder neue Meldungen in die Hände. Erst kürzlich wurde an einer Nonne in einem rumänischen Kloster ein Exorzismus durchgeführt. Im vergangenen Jahr verhungerte in Linz eine Schülerin im Wohnzimmer, und die Mutter dachte, Luzifer sei dabei im Spiel. Ich bin mir nicht sicher, ob sich heute eine Runde aus Lehrern, Ärzten und Pfarrern zusammensetzen würde, um nach einer anderen Lösung zu suchen. Es gibt Familienverhältnisse, die sind so abgeschottet, dass so etwas wahrscheinlich heute immer noch möglich ist.
Die katholische Kirche hält immer noch am Exorzismusglauben fest...
Und zwar hochoffiziell. Es ist zwar in Deutschland heute eine große Hürde, bis ein Bischof einem Exorzismus zustimmt, und seit dem Fall Anneliese Michel ist das nicht mehr passiert. Aber an einer Hochschule des Vatikans werden Priester immer noch im Exorzismusritual ausgebildet, auch wenn sie dazu angehalten werden, dieses Ritual nur unter der Aufsicht von Ärzten durchzuführen.
Wer einen Film über eine vermeintlich von Dämonen besessene Frau macht, muss sich entscheiden, wie er die Wahnvorstellungen zeigt. Warum haben Sie sich für eine so dezente Visualisierung entschieden?
Wir haben diskutiert, ob der Zuschauer das sehen soll, was Michaela sieht, oder das, was der sieht, der neben ihr steht. Ich hätte es sehr seltsam und spekulativ gefunden, wenn wir wirklich irgendwelche Dämonen gezeigt hätten. Wir haben in den Szenen nur die Geräusche etwas verstärkt. Diese indirekte Art fanden wir überzeugender und interessanter, als irgendeinen Spuk herzuzaubern.
Gerade war die Hollywood-Version des Falles im Kino. Hat Sie das nervös gemacht?
Ja, schon. Wir hatten gerade fertig gedreht, als wir hörten, dass in Hollywood zu dem gleichen Fall ein Film gemacht wird. Erst haben wir gedacht, das geht nur Richtung Horror, aber bald wurde klar, dass es auch um ein Gerichtsdrama gehen würde. Als ich den Film dann im Kino gesehen hatte, fand ich die Szenen im Gerichtssaal gar nicht schlecht gemacht, aber die Botschaft des Filmes hat mich geärgert. Dass man sagt: Lasst uns doch mal überlegen, ob es das Dämonische nicht doch vielleicht gibt. Und der Priester war natürlich sowieso der Gute. Aber ich glaube, dieser Film hat Requiem weder geschadet und geholfen.
Interview: Martin Schwickert