OSKAR ROEHLER ÜBER »ELEMENTARTEILCHEN«

Nah am Crash
Über Sex, Männer und das System Constantin


Die Kritik zum Film



Obwohl dies Ihre erste Literaturadaption ist, finden sich viele Motive und Themen wieder, mit denen Sie sich in Ihren letzten Filmen auseinandergesetzt haben...
Die Biografien von Michel Houellebecq und mir sind bis zum zwanzigsten Lebensjahr nahezu deckungsgleich verlaufen. Ende der Fünfziger geboren, Scheidungskind, danach bei den Großeltern aufgewachsen und deren Werte aufgenommen, die Pubertät im Internat. Als ich mir den Film bei der Berlinale-Premiere aus der Perspektive eines Zuschauers angesehen habe, war ich richtiggehend geschockt, wie viel da eigentlich von mir drin ist. Vieles beim Filmemachen beruht auf Intuition, wo man als Künstler dann automatisch seine Handschrift hinterlässt. Ich bin nicht sicher, ob mir das gefällt...
Warum haben Sie den ganzen Grundton der Erzählung und vor allem auch das Ende so stark verändert?
Der Roman hat ja eine ganz klare Botschaft: Der Mensch ist in seiner Sexualität genetisch völlig fehlprogrammiert und in den nächsten zwanzig Jahre wird die Sexualität durch die Gentechnik abgeschafft sein. Das ist eine typisch literarische Vision wie sie etwa auch Huxley in Schöne Neue Welt formuliert hat. Houellebecq hat in seinem Roman den Luxus, diese Dinge auch soziologisch abhandeln zu können. Dazu sind wir als Dramatiker und Filmemacher jedoch nicht berufen, denn wir müssen mit unseren Geschichten die Leute emotional bewegen.
Sind Bruno und Michael zwei prototypische Männer für unsere Zeit?
Wir haben es hier mit zwei völlig zerbrechlichen, fehlgesteuerten, neurotischen Männern zu tun - eben Männer wie Sie und ich, auch wenn wir unseren Kindern vielleicht keine Schlaftabletten in die Milchflasche geben. Es ist doch heute Standard, dass die Männer nicht mehr funktionieren und in vielen Lebensbereichen einfach inkompetent sind. Ich beobachte bei ganz vielen Männern, dass es ihnen schwer fällt mit ihrer Männlichkeit umzugehen. Die jungen Kerle laufen herum wie Krieger ohne Waffen, wissen nicht wohin mit ihrer Kraft, weil sie sich bei der momentanen Jobsituation nicht ausleben können. Männer in meinem Alter gehen es vielleicht gelassener an. Aber auch da funktioniert doch alles mehr oder weniger über Arbeit. Wenn dann irgendwelche Bausteine - gesundheitlich oder liebestechnisch - herausbrechen, kommen sie ganz schnell ins Schlingern. Die Männer von heute sind wie die Börse - immer ganz nahe am Crash.
Das deutsche Kino tut sich immer sehr schwer mit großen Emotionen. War das ein bewusster Schritt, dem etwas entgegen zu setzen?
Ich wehre mich immer dagegen, mich so kategorisch zu äußern. Die Figuren sind durch ihre Verletzbarkeit im Roman schon so angelegt. Die Zartheit der Liebesgeschichten zu unterstreichen - das war eher eine intuitive Entscheidung.
Gab es von der Seite Houellebecqs bestimmte Vorgaben?
Der Houellebecq hat sich nicht weiter dafür interessiert, was wir da machen. Der war schon wieder in seinen neuen Roman versunken. Vielleicht wird er irgendwann den Film sehen, aber im Moment ist er verschollen. Der Verlag weiß seit vier Monaten nicht, wo er steckt.
»Elementarteilchen« ist bis in die Nebenrollen hinein mit großen Schauspielernamen besetzt. Warum wollen alle mit Oskar Roehler drehen?
Bei mir haben diese Schauspieler dann auch einmal die Möglichkeit zu beweisen, was sie können. Eine Schauspielerin wie Martina Gedeck wird oft in irgendwelchen Fernsehfilmen besetzt und kann da gar nicht zeigen, was sie drauf hat. Als Regisseur bewegt man sich mit solchen Schauspielern auf einem sicheren Terrain. Die haben keine Kinderkrankheiten mehr und können ihre eigene Lebenserfahrung mit in die Waagschale werfen.
Nachdem Sie Ihre früheren Filme eher unabhängig produziert haben, haben Sie in Elementarteilchen mit einem deutschen Großproduzenten gearbeitet. Hat Bernd Eichinger Ihnen oft hineinregiert?
Wenn man sich in das System Constantin hinein begibt, hat das den großen Vorteil, dass einem die gesamte filmtechnische Logistik auf sehr luxuriöse Weise zur Verfügung gestellt wird. Eichinger ist ein Produzent im klassischen Sinne. Beim Drehbuch hat er sehr starken Einfluss genommen. Aber im positiven Sinne. Dieses Skript war sehr kompliziert. Ich hatte noch nie eine Romanadaption gemacht und das war sehr viel schwerer als ich dachte. Für mich haben sich da ganz andere Fragen gestellt: Wie kann man am ökonomischsten Wirksamkeit erzielen, welche Bilder braucht man, um eine Szene kurz zu erzählen? Ein erfahrener Produzent wie Eichinger war da eine große Hilfe. Was ich bei diesem Film gelernt habe, ist ein gewisses standardisiertes Arbeiten. Dass man nicht alles der Intuition und Tagesform überlässt. Es schadet ja auch nichts, wenn man z.B. mit einer zweiten Kamera immer noch eine Großaufnahme mitnimmt. Von der Verweigerungshaltung - nur weil man sich für so genial hält - muss man sich frei machen. Sonst wird man nie einen großen Film machen können.

Interview: Martin Schwickert