MICHAEL MOORE ÜBER »KAPITALISMUS - EINE LIEBESGESCHICHTE«

»Ich bin bicht Gottlos!«


Der Film zum Interview

Mr. Moore, Ihre Filme werden von Kritikern oft als Polemiken bezeichnet. Ist dieser Film der nächste Schritt von der Polemik zum Manifest?

Zunächst einmal ist eine Polemik für mich nichts Schlechtes. Ich wünschte, wir hätten in der amerikanischen Gesellschaft einen Diskurs, in dem die Leute sich mehr Gedanken über ihre Position machen und sie zugespitzt formulieren. Meine Filme spiegeln meine individuelle Sicht auf die Dinge wider. Die Fakten sind 100% korrekt, aber darüber hinaus formuliere ich meine Meinung, mit der ich richtig oder falsch liegen kann. Am Anfang war "Manifest" sogar als Titel im Gespräch.

Trotz der harschen Kritik am derzeitigen Wirtschaftssystem nimmt Ihr Film am Ende eine ungewohnt optimistische Wende.

Seit ich in Roger & Me davor gewarnt habe, was mit Autokonzernen wie General Motors geschieht und auf der Oscar-Bühne gesagt habe, dass es im Irak keine Massenvernichtungswaffen gibt, musste ich eine Menge Beschimpfungen hinnehmen. Aber ich habe realisiert, dass ich einfach sagen muss, was ich für wahr halte, auch wenn die Leute darauf ablehnend reagieren. Denn auf lange Sicht bringt das Dinge voran. Nach dem 9/11 war ich in der Minderheit gegen den Krieg und gegen Bush. Nach meinem Film Fahrenheit 9/11 hat Amerika Bush noch einmal für vier Jahre gewählt. Wenn ich Ihnen damals gesagt hätte: "Wir Amerikaner sind gute Menschen. Wir werden es früher oder später kapieren und in vier Jahren einen Schwarzen zum Präsidenten wählen" - Sie hätten mich für verrückt erklärt. Ich bin kein Zyniker, ich trage eine Menge Optimismus in mir.

Die Wirtschaftskrise in einem Kinofilm zu analysieren - geht das ohne Simplifizierungen?

Es ist schwierig, die Leute an einem Freitagabend nach der Arbeit in einen Film zu locken, der das ökonomische System untersucht. Ich wollte einen Film machen, der unterhaltsam ist und gleichzeitig zum Denken anregt. Dabei kommt die Politik für mich nicht an erster Stelle, sondern die Filmkunst - ich weiß das klingt komisch, wenn einer wie ich das sagt. Aber wenn man nicht in der Lage ist, ein Stück Kino zu schaffen, das sich die Leute auch gerne anschauen, dann scheitert man als Filmemacher - egal wie wichtig der eigene politische Standpunkt erscheinen mag. Zu viele Filmemacher, die politische Dokumentationen drehen, sehen nur die Politik und nicht das Kino.

Wie groß ist in der amerikanischen Gesellschaft die Wut auf das Versagen der Finanzpolitik?

Die Wut ist da. Die Leute regen sich auf und sie sind verwirrt über das, was im letzten Jahr passiert ist. Aber ich habe den Film nicht gemacht, um diese Wut zu schüren. Ich versuche dieses Gefühl anzusprechen und in etwas Positives zu kanalisieren. Die Menschen müssen sich bewusst machen, was sie als Bürger einer Demokratie tun, wie sie an der Gesellschaft teilnehmen und die Situation verbessern können.

Glauben Sie nicht, dass, wenn sich die Börse wieder erholt, alles ganz schnell wieder vergeben und vergessen ist?

Für das Leben eines Mittelklasse-Amerikaners ist der Maßstab nicht der Dow Jones-Index. Die Arbeitslosenquote ist diesen Monat nach oben gegangen und die Zahl der Insolvenzen ist immer noch sehr hoch. Das sind die Dinge, die die Menschen direkt betreffen. Übrigens haben Firmen wie Goldman Sachs die Krise auch für sich genutzt, um die Konkurrenz auszuschalten. Sie regieren am Markt jetzt in einer Art Monopolmodell. Denn im Grunde bewundern diese kapitalistischen Firmen ja das Sowjetsystem ohne den lästigen Wettbewerb und all den Wahlmöglichkeiten für die Konsumenten.

Wie legen Sie Ihr eigenes Geld an?

Ich investiere mein Geld nicht. Ich habe noch nie in meinem Leben eine Aktie gekauft. Nicht nur, weil ich nicht an das System glaube, sondern auch weil ich aus einer Arbeiterfamilie komme und wir so erzogen wurden, dass wir unser hart erarbeitetes Geld nicht in Dinge stecken, von denen wir keine Ahnung haben. Der Aktienmarkt ist für mich ein genauso verrückter Ort wie ein Casino. Ich habe ein Sparbuch, auf dem es zwischen 0,5 und 1% Zinsen gibt und wir haben vor einigen Jahren ein Haus gekauft, so wie es mir meine Großeltern immer geraten haben. Ich bin der Meinung, dass man sein Geld mit harter Arbeit und nicht mit Geld verdienen sollte. Das ist einfach schlecht für eine Gesellschaft. Wir werden uns nie weiterentwickeln, wenn alle immer auf den Aktien-Ticker starren und sich um ihr Geld sorgen.

In »Roger & Me« haben Sie die Rationalisierungspolitik von General Motors angeklagt. Nun ist General Motors am Ende und Sie kehren erneut vor das Konzerngebäude zurück, um mit Roger zu sprechen. Weckt das nostalgische Gefühle?

Ich bin nicht aus nostalgischen Gründen noch einmal vor das Gebäude von General Motors gezogen. Im Gegenteil: Ich bin traurig und wütend nicht nur auf General Motors, sondern auch auf mich. Das, was mit dem Konzern geschehen würde, war schon vor zwanzig Jahren absehbar, aber ich habe es mit meiner Art zu kommunizieren nicht geschafft, den Leuten die Folgen dieser Firmenpolitik klar zu machen.

Sie outen sich jetzt als praktizierender Katholik. Wie kam es dazu?

Religion ist ein Teil meines Lebens, aber ich bin kein Prediger. Für mich ist Religion eine sehr private Angelegenheit. Man sollte darüber nicht reden, sondern es leben. Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Aspekt mit in den Film hineinbringen soll. Die meisten Amerikaner sind - genau wie ich - christlich erzogen worden. Ihre Werte sind von dieser Religion geprägt. Die fiktive Person, die meine politischen Gegner in den Medien von mir erschaffen haben, ist hingegen gottlos und antiamerikanisch. Dabei bin ich einer, der sein Land wirklich liebt und fast jeden Sonntag in die Kirche geht. Ich war als Kind bei den Pfadfindern, bin immer noch mit derselben Frau verheiratet, die ich mit 17 kennen gelernt habe. Im Grunde lebe ich ein vollkommen konservatives Leben. Ich wollte dem Negativbild, dass andere von mir geschaffen haben, meine eigentliche Persönlichkeit entgegenstellen. Aber konvertieren Sie um Gottes Willen nicht wegen mir zum Katholizismus! Ich habe großen Respekt vor Atheisten.

Interview: Martin Schwickert