DOMINIK MOLL ÜBER »LEMMING«

JUNGE SPIESSER

Über Charlotte Rampling, die Libertinage der 68er und über seinen Film »Lemming«


Die Kritik zum Film



Sie sind in Deutschland aufgewachsen, haben in New York und in Paris Film studiert und arbeiten seitdem in Frankreich. Fühlen Sie sich als Filmemacher eher der französischen Kinogeschichte verbunden?
Nein, das würde ich nicht sagen. Als ich das erste Jahr in Paris war, habe ich hauptsächlich amerikanische Filme gesehen. In New York wiederum habe ich erst richtig das europäische Kino entdeckt. Dabei hat mich Fassbinder mehr interessiert als Truffaut, Godard oder Chabrol. Ich spüre keine spezielle Seelenverwandtschaft mit dem französischen Kino. Aber nach meiner Ausbildung in Paris war es für mich in Frankreich sehr viel einfacher ins Filmgeschäft einzusteigen. In Frankreich wird Kino als nationales Kulturgut angesehen und das französischen Publikum besitzt eine größere Neugierde auf anspruchsvolle Filme.
Trotzdem wird Ihr Film »Lemming« mit Charlotte Rampling und Charlotte Gainsbourg von zwei Schauspielerinnen getragen, die die französische Filmgeschichte geprägt haben
Charlotte Rampling ist natürlich ein Mythos. Für mich war es wichtig, eine Schauspielerin zu finden, die eine hohe Anziehungskraft hat und gleichzeitig auch ein bisschen erschreckend wirkt. Diese Ambiguität hat die Rampling im Laufe ihrer langen Karriere in den verschiedensten Rollen unter Beweis gestellt. Bei Charlotte Gainsbourg war ich mir anfangs gar nicht ganz sicher. Aber bei den Probeaufnahmen habe ich festgestellt, dass die beiden gut zusammen funktionieren. Sie haben tatsächlich etwas Gemeinsames, was vielleicht mit ihren englischen Wurzeln zusammenhängt. Aber auch hinsichtlich ihrer physischen Erscheinung und der Art des zurückhaltenden Spiels ähneln sie sich sehr.
Mit den beiden Ehepaaren stoßen auch zwei Generationen aufeinander und man hat den Eindruck, dass die jüngere Generation spießiger lebt als die ältere
Ich habe schon das Gefühl, dass die ältere Generation in sexueller Hinsicht offener ist. Auch wenn ich nicht so weit gehen würde wie Oskar Roehler, der die Libertinage der 68er-Generation verflucht. Das ist wahrscheinlich eine Pendelbewegung. Bei der nächsten Generation sieht es bestimmt wieder ganz anders aus.
»Lemming« erzählt von einem Mann, der die Kontrolle über sein Leben und seine Liebe verliert. Ist das eine typisch männliche Angstfantasie?
Ja, natürlich. Der Film erzählt von der Angst des Mannes, dass die eigene Frau zu einer Fremden wird.
Im letzten Drittel gleitet die Geschichte unmerklich ins Übersinnliche...
Ich habe anfangs ein wenig gezögert in diese Richtung zu gehen. Aber ich habe gemerkt, dass mich das sehr anzieht. An Hitchcock schätze ich, dass er eine klare Bildsprache hat und das Untergründige nicht aus Effekten besteht. Es ist leichter aus der Wirklichkeit in unrealere Gegenden zu gleiten, wenn die Grenzen nicht durch Effekte markiert sind. Ich möchte nicht, dass der Zuschauer ganz verloren ist, obwohl mir auch Filme wie Lost Highway wahnsinnig gut gefallen. Aber so weit würde ich mich nicht vorwagen. Da bin ich zu sehr an das Rationale gebunden.
Gehört Hitchcock zu Ihren wichtigsten Vorbildern?
Ich habe meinen Einstieg zum Film über Hitchcock gemacht. Das Buch Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht? von Truffaut hat mich stark beeinflusst. Hier habe ich das erste Mal realisiert, dass es beim Film nicht nur darum geht, alles theoretisch und philosophisch anzugehen. Hitchcock erklärt hier ganz praktisch, warum bestimmte Kamerafahrten und Großaufnahmen diese und jene Emotionen hervorrufen.
Könnten Sie sich auch vorstellen, einen Film in Deutschland zu drehen?
Ich war eine ganze Zeit lang vollkommen auf Frankreich geeicht und wusste auch gar nicht mehr, was in Deutschland los ist. Seit ein paar Jahren interessiere ich mich wieder mehr für das deutsche Kino. Auf der Berlinale im diesem Jahr konnte man spüren, dass im deutschen Kino etwas passiert. Ich habe zwar jetzt keinen Stoff, aber ich könnte mir gut vorstellen, in Deutschland demnächst einmal einen Film zu drehen.

Interview: Martin Schwickert