Interview WOHNZIMMER DER EITELKEITEN Ein Gespräch mit Peter Kern Der Film zum Interview "Knutschen Kuscheln Jubilieren" ist für mich das Porträt einer Szene, die mir sehr fremd ist. Du schaffst es allerdings, den Zuschauer so schnell für die Personen zu gewinnen, mit einer Leichtigkeit, wie ich sie schon lange im deutschen Kino vermißt habe. Du hast erzählt, daß Du lange recherchiert hast, Dich in die Kneipe gesetzt hast, viel mit den Menschen dort gesprochen hast. Wie hat man sich diese Arbeitsweise vorzustellen? Peter Kern: Das Lokal ist um die Ecke von dort, wo ich wohne. Ich lebe in der Bahnhofsgegend von Düsseldorf, weil ich immer gerne dort wohne, wo Menschen wohnen, die aus der Gesellschaft ausgegrenzt sind, Menschen die auf der Schattenseite unseres Lebens wandeln: Stricher, Huren, Verbrecher. Menschen die scheitern, finde ich immer spannender, als irgendwelche Immobilienmaklergeschichten. In der Gegend gibt es auch diese Kneipe "Le Clou", wo ich mich entspanne und einen Kaffee trinke. Im letzten halben Jahr habe ich mich immer mehr mit den Menschen befaßt, denn dort hebt sich jede soziale Struktur auf: Da sitzt der Millionär, der die gleichen Sehnsüchte hat wie der Halbkriminelle, wie der gerade entlassene Oberstadtdirektor einer Kleinstadt, wo der Schwerverbrecher sitzt, der gerade seine Haftzeit abgesessen hat, und alle finden einen Lebensweg zueinander, bzw. auch gegeneinander. D. h. dieses Lokal wurde umfunktioniert zu einem Wohnzimmer der Eitelkeit, aber auch der Liebe und des Jubilierens. D.h. man versteckt sich nicht mit seinen Leidenschaften in irgendwelchen anonymen Bauten, sondern geht dorthin zu Gleichgesinnten und ist überzeugt von dem, was man will und dem, was man ist. Gab es ein Drehbuch? Was war der Auslöser, dieses Projekt zu verwirklichen? Peter Kern: Jede einzelne Figur ist recherchiert. Ich habe natürlich mehrere Figuren recherchiert und mich dann für diese sechs entschieden, die auch miteinander zu tun haben, die auch am willigsten und mutigsten waren. Es gehört Mut dazu, sich selbst darzustellen. Das Drehbuch entstand aus diesen Geschichten, es kamen natürlich noch spontan Elemente dazu, die noch eingeflochten wurden, aber die Basis ist die Lebensgeschichte dieser sechs homosexuellen, alten Menschen und das Zusammenführen als dramaturgischer Höhepunkt ist dieses Lokal. Inwieweit hast Du die Schauspieler geführt? Wieviel Freiraum hast Du ihnen zur Entfaltung gegeben? Peter Kern: Es war das erste Mal, daß ich mit Laien gearbeitet habe. Ein Schauspieler, der schlecht ist auf der Leinwand, dem glaube ich nicht, was er sagt, er ist nicht wahrhaftig. Ein Laie, der sich selber darstellt, ohne Angst zu haben, ist wahrhaftig, denn er ist sich selbst und ist das Leben. Was noch dazu kam war, daß die eine Begabung hatten, sich selbst zu reproduzieren, d.h. wenn ein Streitgespräch kam, meinte ich: so, dann wiederholt mir das mal! und sie haben es genauso wiederholt, wie es war. Alles, was wir auf der Leinwand sehen, ist keine große schauspielerische Leistung, es ist das Leben schlechthin. Du hast die Filmstiftung NRW und das Filmbüro NW an Bord. Dokumentarfilme zu finanzieren ist heutzutage kein leichtes Unterfangen. Peter Kern: Nein. Aber wieso ich die Unterstützung bekommen habe, wundert mich auch. Es scheint doch das Thema um das Alter herum, was die Leute fasziniert, wo sie nachfragen, denn irgendwo werden auch die Menschen bei der Filmstiftung alt. Mit Beistellungen hat mir das Bremer Institut Film geholfen und eine philipinische Produzentin, die eigentlich den Grundstein gelegt hat - mit fünftausend Dollar. Vor allem ist dieser Film enstanden als Hommage an einen ganz großen philipinischen Regisseur, meinen besten Freund, der leider verstorben ist: Ishmael Bernal, dem ist auch dieser Film gewidmet. Wie ist Deine Einschätzung der augenblicklichen Dokumentarfilmszene? Peter Kern: Wir haben diesen Film auf Betacam Digital gedreht, und er wurde dann gefuzzed, d.h diese ganzen Kopierwerkkosten, die sich bei einem Spielfilm oder Dokumentarfilm fürs Kino so rund um 120.000 DM belaufen, konnte ich hier auf die Hälfte reduzieren. Ich glaube, mit der Art und Weise dieses technischen Vorgangs wird es in Zukunft möglich sein, auch diese kleinen Geschichten über die großen und kleinen Gefühle der Menschen, die nicht so große Einschaltquoten haben, wie wir sie vom deutschen Film erwarten, weitermachen zu können und zu dürfen.
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