Angelina Jolie

Die Macht der Gewalt


Der Film zum Interview

Angelina Jolie über ihr Regiedebüt »In the Land of Blood and Honey«

Warum haben Sie den Krieg in Bosnien als Thema für Ihr Regiedebüt gewählt?

Als dieser Krieg ausgebrochen ist, war ich siebzehn und bin munter durch Europa gereist, ohne zu wissen, was dort nur ein paar hundert Meilen von mir entfernt vor sich ging. Dieser Film versteht sich nicht als politisches Statement. Er ist eine Sicht auf die Geschichte, eine Story, in der ich versuche, so viele Facetten wie möglich von diesem Konflikt zu zeigen. Ich wollte einen Film machen, der sich mit dem menschlichen Sein im Krieg beschäftigt. Ich wollte zeigen, dass alle Figuren, egal auf welcher Seite sie in diesem Konflikt stehen, eine Menschlichkeit besitzen - und was mit dieser Menschlichkeit geschieht, wenn sie sich mitten in einem Krieg befinden.

Wie haben Sie für diesen Film recherchiert?

Ich bin in den letzten zehn Jahren sehr viel in Krisengebiete gereist und habe mit Leuten gesprochen, die solche kriegerischen Konflikte überlebt haben und zurück in diese Regionen gegangen sind, in denen sich, nachdem die eigenen Nachbarn zu Feinden wurden, das Leben vollkommen verändert hat. In dieser Hinsicht hat das Thema des Filmes durchaus universellen Charakter. Dennoch habe ich natürlich zu dem Krieg in Bosnien speziell sehr viel gelesen und recherchiert. Wichtig waren auch die Schauspieler, die ihre eigenen Erfahrungen eingebracht haben. Das ist ja erst fünfzehn Jahre her und jeder Schauspieler war auf die eine oder andere Weise von diesem Krieg betroffen. Ihre Erfahrungen haben das Projekt stark beeinflusst.

Wie sind Sie mit der Inszenierung von Gewaltszenen umgegangen?

Ich wollte, dass die Zuschauer sich unwohl fühlen. Ich finde, man sollte keine Massenexekution oder Vergewaltigung im Kino zeigen, ohne dass es dem Publikum nahe geht. Gleichzeitig wird die Gewalt in diesem Film oft nur indirekt gezeigt. Die Exekution nach einer Razzia des serbischen Militärs etwa findet außerhalb des Bildausschnittes statt und wird nur über die Tonspur wahrgenommen. Bei den Vergewaltigungen sieht man keine nackten Körper. Wenn ich nicht musste, habe ich die Gewalt nicht direkt gezeigt. Aber an einzelnen Punkten musste ich weiter gehen, um die verstörende Macht der Gewalt authentisch zu zeigen.

Zu Beginn der Dreharbeiten in Bosnien gab es Schwierigkeiten mit den Genehmigungsbehörden.

Ich kann sehr gut verstehen, dass die Leute dort Vorbehalte gegenüber Außenstehenden haben, die sich ihrer Geschichte bedienen. Schließlich ist das Ganze erst fünfzehn Jahre her. Das ist alles noch sehr frisch und kein Film kann alle Seiten des Konfliktes zeigen.

Sie arbeiten seit elf Jahren als Sonderbotschafterin des UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Wie hat sich durch diese Arbeit Ihr Verhältnis zu Hollywood verändert?

Wenn man zum ersten Mal in ein Kriegsgebiet reist, verändert sich die Sicht auf das eigene Leben enorm. Man wacht auf aus seiner Selbstbezogenheit und fragt sich: Wie konnte ich auch nur einen Tag nicht zufrieden mit meinem Leben sein? Ich sehe Hollywood und die ganze Unterhaltungsindustrie als das, was es ist: Es ist die leichte Seite des Lebens und das ist auch gut so. Aber ich nehme das Ganze nicht besonders ernst. Hollywood ist nicht mein Lebensinhalt. Der Trubel hat nichts mit meinem wirklichen Leben zu tun. Aber es ist schon manchmal bizarr: In die Krisengebiete reise ich meistens allein mit meinem Rucksack und ohne Security. Und wenn ich über den roten Teppich laufe, bekomme ich mindestens sechs Bodyguards zugewiesen.

Nehmen die Menschen in den Krisengebieten Sie als Star wahr?

In diesen Teilen der Welt spielen die Schlagzeilen aus Hollywood keine Rolle. Dort haben die Menschen andere Sorgen. Sie wollen Essen. Sie wollen eine Unterkunft. Sie wollen Schutz und jemanden, mit dem sie reden können. Meine Berühmtheit ist ihnen vollkommen egal.

Als Schauspielerin haben Sie für Regisseur wie Clint Eastwood, Phillip Noyce und Michael Winterbottom vor der Kamera gestanden. Was haben Sie dabei für Ihre eigene Arbeit als Regisseurin gelernt?

Ich habe versucht, so viel wie möglich von jedem Regisseur zu stehlen. Die Arbeit mit Clint Eastwood hat mich besonders beeindruckt. Auf manchen Filmsets hat man das Gefühl, als sei Filmemachen die härteste Arbeit der Welt. Aber auf dem Set von Clint Eastwood herrscht immer eine sehr respektvolle Atmosphäre, in der sich alle wohl fühlen und ihr Bestes geben. Ich wusste, dass ich für meinen Film mit einem solch heiklen Thema eine gute Atmosphäre am Set brauchte. Von Clint Eastwood habe ich gelernt, dass es darum geht, gute, aber vor allem auch nette Leute auszusuchen.

Für einen ganz kurzen Augenblick ist Brad Pitt im Film zu sehen und wird von einem Scharfschützen erschossen. Wie kam es zu diesem Cameo-Auftritt?

Eigentlich hatte ich gehofft, dass es keiner merkt. Aber jetzt kursieren die wildesten Theorien darüber. Das hatte einen ganz pragmatischen Grund: Brad kann einfach sehr gut sterben. Viele Schauspieler und auch viele Stuntmen können das nicht. Ich bin da auch ganz schlecht drin, weil ich mich im Fallen immer abstütze. Man glaubt es nicht, aber tot umzufallen ist eine besondere schauspielerische Gabe und Brad hat das einfach drauf. Ich brauchte einen guten Stunt und er hat ihn geliefert.

Interview: Martin Schwickert