DORIS DÖRRIE ÜBER »KIRSCHBLÜTEN«

»Die Toten träumen von uns«

Über das unterschiedliche Verhältnis zum Tod in Ost und West


Der Film zum Interview

Dies ist nun schon der dritte Film, den Sie in Japan realisiert haben. Was zieht Sie immer wieder in dieses Land?

Japan begleitet mich schon seit 25 Jahren. Damals war ich mit meinem ersten Film beim Festival in Tokio eingeladen. Ich bin durch das Land getrampt und war einerseits hingerissen von der Exotik und spürte andererseits aber auch diese seltsame Vertrautheit. Das liegt vor allem an den historischen Parallelen zwischen den beiden Ländern. Als Kriegsverlierer haben sich Deutschland und Japan nach 1945 zu Superwirtschaftsnationen entwickelt, hatten beide den großen Traum von Amerika, dem dann später eine große Desillusionierung folgte. In beiden Ländern spürt man die gleiche Zerrissenheit zwischen Historie und Moderne.

"Kirschblüten" erzählt von einem bayrischen Witwer, der in Japan den Tod seiner Frau zu verarbeiten sucht. Worin unterscheidet sich der Umgang mit Tod in der westlichen und der fernöstlichen Kultur?

Eine der großen Taten von Martin Luther bestand ja darin, dass er gesagt hat: "Lasst die Toten ruhen. Kümmert euch um euer Leben." Diese Trennung war damals ein großer geistesgeschichtlicher Einschnitt, denn die Beeinflussung durch die verstorbenen Vorfahren kann natürlich auch in eine furchtbare Erpressung ausarten. Heute ist es jedoch so, dass wir uns immer egozentristischer begreifen und die Verbindung zu unseren Vorfahren vollkommen kappen. In Japan ehrt man die Vorfahren anders und setzt sich in direkte Verbindung zu ihnen. Deshalb ist der Satz des Butoh-Tänzers Tadashi Endo "Die Toten träumen von uns" von zentraler Bedeutung für die Geschichte. Das non-duale Denken in Japan führt dazu, dass man sagt: Jeder ist tot und lebendig zugleich. Das ist eine ganz andere Art auf die Welt zu blicken.

Die Hauptfigur scheint sich erst durch den Tod seiner Frau aus der Stagnation zu befreien.

Das finde ich tragisch, dass wir oft erst aufwachen, wenn uns ein großer Ziegelstein auf den Kopf fällt. Rudi wacht durch die großen Schmerzen auf, die die Trauer um seine Frau in ihm auslösen. In der Fremde ist es für ihn leichter, in Bewegung zu kommen, als zu Hause, wo vieles in Routine gefügt ist, die noch mehr Schmerz produziert.

Ihr Film zeigt sehr deutlich die vollkommene Entfremdung zwischen den Eltern und den erwachsenen Kindern.

Ich mache mit meinen Studenten immer eine Übung zu dem Satz: "Ich bin meine Mutter" oder "Ich bin mein Vater". Wenn sie dazu etwas schreiben sollen, drehen alle Studenten jedes Mal durch. Dieser Satz geht jedem Asiaten mühelos über die Lippen. Sie sehen sich in einer ganz engen Verbindung mit den Vorfahren. Bei uns ist der Drang sich abzusetzen und zu individualisieren sehr groß. Wir definieren uns primär über die Abgrenzung und nicht über ein Gefühl der inneren Kontinuität. Wir wollen immer anders sein als unsere Eltern. Auf der anderen Seite verstehe ich natürlich beide Seiten recht gut, weil ich gleichzeitig Tochter und Mutter bin. Ich sehe, wie ich meiner eigenen Tochter wahnsinnig auf die Nerven gehe, obwohl sie mich gleichzeitig auch liebt.

Achtsamkeit den Dingen gegenüber spielt im Buddhismus eine wichtige Rolle. Was heißt das für Sie als Filmemacherin?

Der Blick durch die Kamera ist ein meditativer Akt, weil man sehr stark auf den Moment fokussiert ist. Wenn die Klappe fällt, ist die Aufmerksamkeit erhöht. Bei diesem Film sind wir es noch etwas sportlicher angegangen und haben auf eine Klappe verzichtet, um die Achtsamkeit über den Moment hinaus zu erhalten. Wir haben versucht, die Geschichte genau zu verfolgen und gleichzeitig alles möglich zu machen. Die Schauspieler mussten immer auf alles gefasst sein.

Mit Hannelore Elsner und Elmar Wepper haben Sie zwei deutsche Fernseh-Ikonen unter Vertrag genommen. Hatten Sie keine Angst, dass die TV-Prominenz der beiden die Zuschauerwahrnehmung beeinträchtigt?

Nein, das war mir vollkommen wurscht. Da müsste ich mit einer vorgestellten Rezeption umgehen und das kann ich nicht. Mir ist es vollkommen egal, ob einer ein Film- oder ein Fernsehschauspieler ist. Hauptsache er spielt die Rolle gut.

Interview: Martin Schwickert