INTERVIEW MIT TIM BURTON


Film ist ein Spiel

Über echte Narzissen, blaue Räume und seinen neuen Film Big Fish



Mr. Burton, Big Fish ist eine Vater-Sohn-Geschichte. Was bedeutete dieses Motiv für Sie persönlich?
Mein Vater war kurz zuvor gestorben. Wir waren einander nie sehr nahe und die Gefühle, die ich nach seinem Tod hatte, überraschten mich. Ich habe viel über die Natur des Eltern-Kind-Verhältnisses nachgedacht. Dann wurde mir dieses Drehbuch angeboten, das sich genau mit diesen Gefühlen auseinandersetzte. Ich denke nicht, dass ich den Film ohne diese persönlichen Erfahrungen hätte machen können.
Ed, die Hauptfigur von Big Fish, ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, der die Realität mit seiner Fantasie übermalt. Ist das auch Ihre Aufgabe als Filmemacher?
Realität und Fantasie lassen sich schlecht trennen. Wenn Leute zu mir sagen: Deine Filme sind so unrealistisch!, antworte ich: Aber der Terminator ist Gouverneur von Kalifornien. Realität und Fantasie werden jeden Tag miteinander vermischt, und ich konnte die beiden noch nie gut auseinanderhalten.
Warum haben Märchen in Ihren Filmen einen solch hohen Stellenwert?
Märchen haben so lange überlebt, weil sie eine emotionale Wahrheit in sich tragen. In der amerikanischen Gesellschaft gibt es keine Märchentraditionen und bestimmte Themen wie die Auseinandersetzung mit dem Tod sind tabuisiert. In anderen Kulturen, in denen Märchen eine wichtigere Rolle spielen, ist der Tod nicht so eine dunkle Angelegenheit, weil er als Teil des Lebens begriffen wird.
Inwieweit ist Big Fish eine typische Südstaaten-Geschichte?
Ich war vorher noch nie in den Südstaaten und wusste sehr wenig über die mythischen Erzähltraditionen. Aber der amerikanische Süden ist tatsächlich wie ein fremdes Land. Es hat etwas mit der Hitze zu tun, die den Strom der Bewusstseins verändert. Dort unten sind einfach andere Schwingungen. Deshalb war es für uns auch so wichtig, vor Ort drehen, weil wir diese Atmosphäre einzufangen wollten.
Trotzdem haben Sie zwei britische Schauspieler für die Hauptrollen unter Vertrag genommen...
Es ging darum, die richtige Kombination zu finden. Ich habe ein Bild von Albert Finney in seinen Jugendjahren in dem Film Tom Jones gesehen, und das hat mich sehr an Ewan McGregor erinnert. Außerdem haben die beiden den Südstaaten-Dialekt schneller drauf gehabt als ihre amerikanischen Kollegen.
Wie alle Burton-Filme lebt auch Big Fish von seinem visuellen Einfallsreichtum. Trotzdem haben Sie hier fast ganz auf Spezialeffekte verzichtet...
Ich habe nichts gegen Effekte, aber ich verwende sie gerne sparsam. Ich bevorzuge Kulissen, obwohl man heute eigentlich gar keine Kulissen mehr braucht. Mir war es gerade bei dieser Geschichte wichtig, soviel wie möglich live zu machen. Wenn Ed in einem Narzissenfeld steht, haben wir die Blumen herangekarrt. Das Auto haben wir tatsächlich in den Baum gehängt und es nicht am Computer nachträglich hineingeflickt. Ewan McGregor hat vorher für Star Wars sechs Monate in einem blauen Raum verbracht. Ich glaube, die Schauspieler genießen es mehr, mit den anderen zusammen in einer echten Umgebung zu agieren. Das gehört für mich als Regisseur auch zum Spaß des Filmemachens. Ich will direkt beim Drehen sehen, wie eine Szene aussieht, und nicht sechs Monate später am Computer.
Mit seinem Werbe- und Merchandising-Aufwand gehörte Ihr Film Batman zu einem der ersten Filme, die als Blockbuster konzipiert wurden. Was halten Sie vom Zustand der heutigen US-Filmindustrie, wo fast jeder Film ein Blockbuster sein will?
Das ist eine sehr unglückliche Entwicklung. In den 70ern oder 80ern musste ein Film nicht am ersten Startwochenende gleich Millionensummen einspielen. Durch den kommerziellen Druck werden viele Filme verheizt, die mehr Raum zum Atmen bräuchten. Aber es gibt immer wieder Überraschungen im Filmgeschäft, wie z.B. der neue Jesus-Film. Vor so was haben die Studios richtig Angst. Das amüsiert mich sehr, weil sie mit der Wahrheit konfrontiert werden, dass niemand genau weiß, wie man erfolgreiche Filme macht. Das Filmgeschäft ist ein Spiel, und als solches sollte man es auch wieder mehr betreiben.
Interview: Martin Schwickert