INTERVIEW MIT FATIH AKIN
AUSSENSEITER Für »Gegen die Wand« gab's auf der Berlinale2004 den Goldenen Bär. Martin Schwickert sprach mit Regisseur Fatih Akin, der trotzdem nicht glücklich ist
Ursprünglich war »Gegen die Wand« als Komödie geplant. Wie ist daraus ein Liebesdrama geworden?
Ganz am Anfang hatte ich mir als Plot notiert: Eine Frau fragt einen Mann, ob er sie heiraten will, um von zu Hause rauszukommen. Das ist erst einmal der Plot einer klassischen Komödie a la Greencard. Mit den Jahren hat sich das Projekt aber immer mehr von der Komödie entfernt. Das hängt zum einen mit Beobachtungen und Geschichten zusammen, die ich zu dem Thema gesammelt habe und die einfach nicht besonders witzig waren. Dann hat es auch mit meinem Hauptdarsteller Birol Ünel zu tun, der schon sehr früh an dem Projekt beteiligt war. Und schließlich war da noch, kurz bevor ich das Buch geschrieben habe, der 11. September, was einem so eine Grundwut in den Bauch gesetzt hat. All diese einzelnen Elemente haben mich weg von der Culture-Clash-Komödie gebracht.
Was hat der 11. September mit dieser Geschichte zu tun?
Man schreibt an einer Geschichte und dann passiert so etwas wie der 11. September und die Kriege in Afghanistan und Irak, die danach folgten. Man macht morgens die Nachtrichten an und hört von einem Selbstmordattentäter oder davon, dass die Amis aus Versehen einen Schulbus in die Luft gejagt haben. Wenn man damit Tag für Tag während des Schreibens konfrontiert ist, saugt man - auch wenn das gar nichts mit der Geschichte zu tun hat - einfach so eine Wut auf, die gewollt oder ungewollt auch auf dem Papier landet.
Wie universell ist die Geschichte einer jungen deutschtürkischen Frau, die aus ihrer Familie ausbricht und ein wildes Leben führen will?
Dass sie universell ist, hat der Goldenen Bär bewiesen, der ja von einer internationalen Jury vergeben wurde. Mit der Geschichte scheinen wir also international auf irgendeinen Nerv getroffen haben. Berlinale-Chef Dieter Kosslick hat nach der Preisverleihung in einem Interview gesagt, dass ihm erst später bewusst geworden sei, dass 50 Prozent der Menschheit nicht mehr in ihrem Ursprungsland leben. Viele Menschen leben nicht dort, wo sie leben sollen, verbreiten ihre Konflikte aber dort, wo sie nun einmal leben. Genau deshalb ist diese Geschichte so universell.
Sie haben gesagt, dass Sie davon ausgegangen sind, dass dies Ihr letzter Film sein könnte. Was haben Sie damit gemeint?
Es war ein sehr anstrengender Dreh. Außerdem hatte ich mein eigenes Geld in den Film gesteckt und somit meine Existenz aufs Spiel gesetzt, um den Film so machen zu können, wie ich wollte. Da geht man schon mit einem gewissen Druck ans Set. Wenn das schief geht, ist man nicht nur Pleite, sondern auch zutiefst verschuldet. Im ungünstigsten Fall bedeutet das zwei Millionen Euro Schulden. Da wäre mein Leben als Filmemacher erst einmal beendet. Dadurch kam es zu einer leichten Kamikaze-Stimmung während des Drehens. Normalerweise teilt man sich als Regisseur die Kräfte ein. Aber in diesem Film habe ich jeden Tag alles gegeben, was zur Folge hatte, dass ich nach dem Dreh einen Bandscheibenvorfall bekommen habe.
Hatten die Schauspieler Einfluss auf das Drehbuch?
Birol Ünel war der Schauspieler, mit dem ich arbeiten wollte. Bei den Dialogen hatte ich seine Stimme im Ohr. Birol ist ein sehr intelligenter und dramaturgisch denkender Schauspieler, der seine Vorschläge mit eingebracht hat. Das war ein reger Austausch schon während des Schreibprozesses, aber auch noch später beim Drehen. Sibel kam sehr spät hinzu und hatte vorher noch nie in einem Spielfilm gespielt. Sie hat uns aus ihrer eigenen Erfahrung, das Gefühl vermittelt, dass das, was wir erzählen, richtig ist. Das ging so weit, dass ich die Figur, die ursprünglich Leila hieß, in Sibel umgetauft habe.
Glauben Sie, dass der Film in der deutsch-türkischen Community als Provokation wahrgenommen wird?
Es gibt zur Zeit eine heftige Diskussion auf deutsch-türkische Sites im Internet, wo der Film verflucht wird und man mich gerne in der Hölle schmoren sehen will. Ein Vorwurf von Frauenseite lautet auch, dass ich die Stellung der türkischen Frau ausnutze und sie an die Deutschen verkaufe, um damit Geld zu machen. Die Diskussion ist sehr, sehr heftig, aber niemand von denen hat bisher den Film gesehen. Schauen wir mal, was passiert, wenn der Film in den Kinos ist. Da bin ich sehr gespannt.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie aus einer Verantwortung der eigenen Community gegenüber eine größere Last tragen als andere deutsche Filmemacher?
Nein, ich will auch keine Verantwortung dafür tragen. Mein Film repräsentiert ja nicht die türkische Minderheit, sondern er handelt von zwei Außenseitern in einer Gesellschaft von Außenseitern.
Vor der Berlinale-Premiere haben Sie gesagt, dass Sie sehr nervös sind, was Ihre Eltern zu dem Film sagen. Wie haben Sie reagiert?
Sie mochten den Film sehr gerne und sie verteidigen ihn auch. Mein Vater hat zwar gesagt, dass für seinen Geschmack zu viele Nacktszenen drin sind. Aber da bringt einen dieser Film dann auch wieder näher zu den eigenen Eltern. Plötzlich diskutiere ich mit meinem Vater über Nacktszenen, was früher undenkbar gewesen wäre. Auch was die BILD-Kampagne gegen Sibel Kekilli angeht, sind sie voll auf unserer Seite. Meine Eltern sind eigentlich konservative Menschen, die fünf mal am Tag beten. Dass sie dennoch so aufgeschlossen reagieren - das ist für mich das wichtigste und schönste an dieser ganzen Geschichte.
Einen Tag, nachdem Sie den Goldenen Bären bekommen haben, hat BILD eine Hetzkampagne gegen Ihre Hauptdarstellerin Sibel Kekilli gestartet und sie als Pornostar geoutet. Wie gehen Sie damit um?
Ich bin ernüchtert. Völlig ernüchtert. Für mich ist das, als hätte ich den Goldenen Bären nicht gewonnen. Wir haben zwei Tage Party in Berlin gehabt, sind am Sonntag zurück gefahren und am Montag stand es in der BILD-Zeitung. Seit dem ist einfach Schluss. Ich denke nicht mehr: Ach toll, ich habe den Goldenen Bären gewonnen. Diese Freude ist mir genommen worden.
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