THE WOODSMAN
Einfache Ausgrenzung Ein vorsichter Versuch, einen Pädophilen zu beobachtenDer Tisch ist aus Kirschbaumholz, solide und geschmackvoll gearbeitet. Eigentlich ein Hochzeitsgeschenk, das Walter (Kevin Bacon) für seine Schwester gebaut hat. Der Schwager hat es auf Drängen seiner Frau zurückgebracht, und nun ist der Tisch das einzige, was von Walters altem Leben übrig geblieben ist. Zwölf Jahre saß er im Gefängnis, weil er wiederholt kleine Mädchen belästigt hat.
In ihrem bemerkenswerten Debütfilm The Woodsman verfolgt Nicole Kassell den mühsamen Prozess der Wiedereingliederung aus der Perspektive eines verurteilten Pädophilen.
Es ist ein Balanceakt, denn der Film fordert Empathie ein, wo Aversionen unüberwindbar scheinen. Walter bekommt einen Job in einem Sägewerk und eine Wohnung, von der er direkt auf einen Kinderspielplatz schaut. Der Blick aus dem Fenster ist Mahnung und Herausforderung zugleich. Mit seiner Arbeitskollegin Vickie (Kyra Sedgewyk) beginnt Walter eine vorsichtige Affäre, die zu zerbrechen droht, als er sein Geheimnis enthüllt.
Es ist ein mühsamer Kampf, den er gegen sich selbst mit aller Härte austrägt. Auch die wöchentlichen Sitzungen beim Psychiater und die regelmäßigen Besuche des Cops, der ihn überwacht und bedroht, können nicht verhindern, dass Walter erneut Mädchen auflauert. Aber erst der unverhoffte Blick auf die andere Seite, in die Gefühlswelt eines missbrauchten Kindes, durchbricht das zwanghafte Verhaltensmuster.
Sexueller Missbrauch ist ein weit verbreitetes Verbrechen und Pädophilie wird als Perversion am entschiedensten sanktioniert. Die Ausgrenzung ist ein gesamtgesellschaftlicher Abwehrmechanismus, der mehr über die Selbstverleugnungskraft als über die moralische Standfestigkeit aussagt.
Mit sanfter und sicherer Hand zwingt The Woodsman sein Publikum in eine Auseinandersetzung mit der Täterseite.
Hierfür wählt Nicole Kassell einen klugen Erzählmodus, der alles Sensationelle und Spekulative meidet und die Geschichte trotzdem nicht entmoralisiert. Sie blickt auf ihre Hauptfigur mit einer distanzierten Nähe, die nach psychologischer Genauigkeit sucht, ohne sich mit ihr zu verbünden zu wollen.
Mit Kevin Bacon hat Kassell den idealen Hauptdarsteller für ihre differenzierte Erzählhaltung gefunden. Bacon setzt sich hier nicht durch eine egozentrische Tour de Force in Szene. Er legt Walter als wortkargen und verschlossenen Mann an, der von der Angst des Rückfalls und der Offenbarung seiner Vergangenheit bestimmt wird. Ihm gelingt es, die Figur, die sich ihrer Außenwelt mit eingezogenen Schultern verschließt, zum Zuschauerraum hin zu öffnen. Das kurze Lächeln, das nach Sekundenbruchteilen wieder spurlos aus dem Gesicht verschwindet, lässt die Möglichkeit einer anderen Existenz aufblitzen.
Seinen Titel verdankt The Woodsman den Gebrüder Grimm. In der amerikanischen Übersetzung ist es nicht der Jäger, sondern der "woodsman", der dem Wolf den Bauch aufschneidet, aus dem Rotkäppchen und Großmutter unverletzt geborgen werden.
Den Woodsman gibt es nur im Märchen, heißt es einmal im Film. Das echte Leben ist komplizierter. Da gibt es niemanden, der eine Tat ungeschehen machen kann.
Martin Schwickert
USA 2004 R: Nicole Kassell B: Steven Fechter, Nicole Kassell K: Xavier Pérez Grobet D: Kevin Bacon, Kyra Sedgwick,
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