Die Wolken von Sils Maria Täter und Opfer Eine kluge und spannende Reflektion über das Schauspielerdasein Der Empfang ist schlecht im Zug, der sich scheppernd durch die Schweizer Alpen schlängelt. Aber Val (Kristen Stewart) ist ein Profi. Sie weiß, wie man ein lästiges Telefonat mit dem Scheidungsanwalt des zukünftigen Ex abkürzt, auf der anderen Leitung ein anderes Gespräch annimmt und gleichzeitig noch ein paar Emails beantwortet. Lässig koordiniert sie - das iPhone in der einen und das Blackberry in der anderen Hand - die heranbrandenden Terminfluten. Ihre Chefin wäre ohne sie aufgeschmissen. Maria (Juliette Binoche) ist ein internationaler Filmstar, in Europa ebenso gefragt wie in Hollywood. Ihre Karriere begann mit 18 in einem Film von Wilhelm Melchior, in dem sie die junge Assistentin Sigrid spielte, die ihrer Chefin Helena den Kopf verdreht und sie in den Selbstmord treibt. Ihr Mentor ist gerade verstorben, als ein junger Regisseur (Lars Eidinger) Maria für die Neuauflage des Stücks gewinnen will. Nun soll sie mehr als zwanzig Jahre später nicht die Sigrid, sondern die Helena spielen. Widerstrebend willigt sie in das prestigeträchtige Theaterprojekt ein und zieht sich in Melchiors ehemaliges Haus in den Schweizer Alpen zurück, um sich mit Vals Unterstützung auf ihre Rolle vorzubereiten. Aber der Perspektivwechsel von der jüngeren Sigrid zur älteren Helena, von der Verführerin zur Verführten, von der Täterin zum Opfer treibt sie immer tiefer hinein in eine künstlerische Midlife-Crisis - und in einen Konflikt mit ihrer eigenen Assistentin. Olivier Assayas' Die Wolken von Sils Maria lässt sich als unsentimentale Hommage an das Schauspielerinnendasein lesen. Der Film wurde passgenau auf Juliette Binoche zugeschnitten, deren Status als französischer Star internationalen Formats sich im Drehbuch leicht verfremdet widerspiegelt. Dennoch steht hier nicht allein die narzisstische Künstlerin im Zentrum, sondern die ungleiche Beziehung zwischen Filmstar und Assistentin. Es ist ein seltsames gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis, das stets zwischen Freundschaft und Dienstleistung, Intimität und Hierarchie schwankt. Wenn Maria und Val auf Wanderungen durch die Alpen den Rollentext üben, geraten die Grenzen zwischen den psychodramatischen Dialogen des Theaterstücks und dem Gespräch von Schauspielerin und Assistentin zunehmend in Fluss. Mit leichter Hand und trotzdem sehr differenziert beleuchtet Assayas die verschiedenen Facetten der Schauspielerexistenz: Das schmerzhafte Aufgehen in der Rolle, der Realitätsverlust, die Angst vorm Altern, die lästigen Repräsentationspflichten, die Paparazzi und vieles mehr. Dabei arbeitet Assayas geschickt mit dem Image seiner eigenen Schauspielerinnen, etwa wenn "Twilight"-Star Kristen Stewart mit Arthouse-Ikone Juliette Binoche die Subtexte des modernen Popcorn-Kinos diskutiert und die sie einfach auslacht. Auf äußerst unterhaltsame Weise überlagern und verbinden sich hier Welten zu einem Film, der ebenso intelligent wie entspannt über das eigene künstlerische Sein nachdenkt. Martin Schwickert Clouds of Sils Maria D/CH/F 2014 R&B: Olivier Assayas K: Yorick le Saux D: Juliette Binoche, Kristen Stewart, Hanns Zischler. 124 Min.
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