»WOLKEN ZIEHEN VORÜBER« Trauriger Malkasten
Diesmal gibt's bei Aki Kaurismäki ein Happy End! Aki Kaurismäki hat wieder zu seiner alten Form zurückgefunden. Seinen letzten Leningrad-Cowboy-Filmen ( Total Balalaika Show und Leningrad Cowboys meet Moses ) konnten selbst hartgesottene Anhänger des Tollen-Kults kaum noch etwas abgewinnen, und es war zu befürchten, daß der finnische Regisseur gänzlich im Schnabelschuhdelirium versacken wird. Mit Wolken ziehen vorüber kehrt Kaurismäki in die Tristesse des vorwinterlichen Helsinkis zurück. In seiner liebevoll-unbarmherzigen Weise widmet er sich wieder den Helden des grauen Alltags, die nur wenig haben, das aber garantiert verlieren werden. Das "Dubrovnik", in dem die wunderbar blasse Ilona (Kati Outinen aus Das Mädchen in der Streichholzfabrik ) als Oberkellnerin arbeitet, war einmal das erste Restaurant am Platz. Weiße, gestärkte Tischdecken, teure, längst vergilbte Tapeten, beflissenes Personal, und verstreut an den Tischen ein paar greise Gäste, die nicht mehr soviel vertragen wie in früheren Jahren. Es kommt, was kommen muß. Banken und Fast-Food-Ketten liquidieren den Laden sang- und klanglos. Ilona ist arbeitslos, und die Raten für den neuen Fernseher mit 12 Kanälen und Fernbedienung sind nicht bezahlt. Menschenleer ist auch der Straßenbahnzug, den Ilonas Mann Lauri (Kari Väänänen) durch das nächtliche Helsinki steuert. Die Linie wird stillgelegt, es wird gelost, Lauri hat schlechte Karten und muß gehen. Ganz ohne Mitleidsgetue blickt die Kamera in die mutlosen Gesichter des Verliererpaares. Irgendwie wurschteln sie weiter: sinnlose Vorstellungsgespräche, Arbeitsvermittler, die sie übers Ohr hauen, das letzte Geld wird im Casino verspielt. So reiht sich gnadenlos Niederlage an Niederlage, bis Ilona Melartin, den früheren Portier des "Dubrovnik" trifft und beide beschließen, ein neues Restaurant zu eröffnen. Daß auf dem Weg zur Existenzgründung noch einige Hürden genommen werden müssen, wird sie nicht aufhalten. Nun zugegeben, diejenigen, die sich im Kinosessel in eine sorgenfreie Welt katapultieren lassen wollen, sollten Kaurismäki-Filme meiden. Aber irgendwie schafft es der lakonische Finne immer wieder, uns für das Scheitern seiner Figuren zu interessieren. In den Nihilismus mischt sich eine Komik, die sich über die vom Pech Verfolgten lustig macht, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Es ist die staubtrockene Art der Katastrophenbeschreibung fernab von Sozialarbeiterromantik und moralisierender Schuldzuweisungen. In Wolken ziehen vorüber erweist sich der Regisseur erneut als Meister der Verknappung. An den Dialogen kein Gramm zuviel. Subjekt, Prädikat, Objekt reichen allemal aus, um zu sagen, was zu sagen ist. Es lebe der Hauptsatz! Was andere mühsam mit Schuß/Gegenschuß-Montagen erzählen, handeln Kaurismäki und sein Kameramann Timo Salminen in einer kurzen Einstellung ab. Wenn der alkoholabhängige Koch mal wieder durchdreht und die Schnapsflasche mit dem Schlachtermesser verteidigt, tritt furchtlos Ilona auf ihn zu. Beide verlassen seitlich das Bild - die Kamera bleibt unbewegt. Aus dem Off hört man zwei schallende Ohrfeigen. Die Heldin kehrt mit dem Messer in der Hand in die Einstellung zurück, hinter ihr der reuige Sünder mit blutendem Finger. Kaurismäkis Handschrift bleibt unverkennbar, sein Stil hat sich dennoch merklich verändert. Trotz der skrupellosen Aneinanderreihung von Lebensniederlagen wirkt Wolken ziehen vorüber optimistischer als frühere Filme. Das liegt vor allem an der Innenausstattung der Räume. Wände, Möbel, Tapeten und Kaffeetassen wirken wie mit einem Schulmalkasten coloriert. Soviel Farbe gab es noch nie in der finnischen Tristesse. Außerdem erwartet uns ein einwandfreies Happy-End. Kaurismäkis Begründung hierfür klingt einleuchtend: "Es hätte nur Verlegenheit hervorgerufen, wenn - am Schluß des Films - der arbeitslose Mann sich selbst in den Kopf geschossen oder die Frau sich zwischen die Schiffsschrauben der Fähre nach Schweden geworfen hätte."
Martin Schwickert
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