WIR LEBEN ... SM

Freundliche Perverse

Beobachtungen in der Szene

Entgegen landläufiger Meinung, hat "SM" nichts mit Sadisten und Masochisten zu tun. In dem Dokumentarfilm von Gerhard Stahl Wir leben ... SM geht es vor allem um Hingabe und Lust.
Die lange SM-Session, die er mit zwei Frauen und einem Mann filmte, ist ein ziemlich beeindruckendes Gegenmodell zum Standard-Vögeln. Zunächst mal: gevögelt wird sowieso nicht. Es geht um Streicheln, Schläge, Küsse, Kerzenwachs, noch mehr Küsse, Spanking, Drohungen - und das alles mit einer demonstrativen Langsamkeit, bei der die Lust aller Beteligten deutlich zu sehen ist. Weil der Film nämlich nicht den Fehler macht, mit der Kamera auf den Körpern zu bleiben. Im wichtigsten Moment - ähnlich wie in Secretary - hält die Kamera auf das Gesicht, in Nahaufnahme. Denn da ist die Lust.
Ein Jahr lang hat Stahl ein SM-Pärchen zwischen Business und Spaß beobachtet, Andreas entwickelt Themen-CD's, betreibt einen Online-Shop, "Lady Isis" tritt als Performancerin auf. Vorher hat sie recht keck gestanden, wie peinlich das für sie war, als sie ihre SM-Neigungen entdeckte - ausgerechnet dann, als sie in der Friedensbewegung aktiv war. Überhaupt: neben aller komischen Ernsthaftigkeit, mit der agiert wird - ein Problem, dass alle Fetisch-Szenen teilen - überrascht die Branche durch Humor. Sogar einen eigenen SM-Kabaretisten gibt es schon, Axel Tüting, der eine sehr nette Parodie hinlegt: wie bewerbe ich mich richtig als Sklave?
Nebenbei beschreibt der Film die Verbürgerlichung einer Randgruppe. Man will anerkannt werden. Man will auf der Schwulen- und Lesbenparade einen eigenen Wagen. Eigentlich, sagt eine charmante Sklavin, sind wir einfach nur freundliche Perverse. Tatsächlich ist die Freundlichkeit im Umgang untereinander bemerkenswert. So verdreht - oder pervers - das auch klingt: in diesem Film geht's vor allem um Zärtlichkeit.
Dankbar muß man Stahl auch dafür sein, dass sein Film vollkommen frei von den üblichen Psychologisierungen ist. Niemand muß in seiner Kindheit wühlen, kein "Experte" gibt kühne Theorien zum besten, warum jemand "so" wird. "Ich fühl mich einfach viel ausgeglichener im Alltag, wenn mir der Hintern versohlt wurde", sagt die charmante Sklavin. Später werden wir sehen, wie lustvoll sie mit den Augen rollt, während sich auf ihrem nackten Hintern rote Striemen abzeichnen. Manches kann so einfach sein.

Thomas Friedrich

D 2003. R: Gerhard Stahl. K: André Pfennig, Gerhard Stahl. Mit Woschofius, Lady Isis, Alex Tüting, Carlos Peron, Matthias Grimme