WINTERREISE
Sehnsucht nach Afrika Josef Bierbichler als cholerischer Spießer
Franz Brenninger ist einer, der sein Leben lang auf den Wogen des westdeutschen Wirtschaftswunder gesegelt ist. Einer, der es zu etwas gebracht hat. Nicht zu Reichtum, aber zu vorzeigbarem Wohlstand in Form eines Hauses am Rande der Stadt und einem Mercedes 600 SEL.
Brenninger kommt mit der heutigen Zeit nicht zurecht. Und die Zeit nicht mit ihm. Der Sparkassen-Filialleiter kündigt ihm die Kreditlinie. Der mittelständische Metallhandel, den Brenninger 40 Jahre lang betrieben hat, kann mit der Baumarktkonkurrenz nicht mehr mithalten. Dass einer seine Rechnungen einfach nicht bezahlt, das gab's früher einfach nicht, tobt Brenninger. Wenn Brenninger tobt, kuscht auch der blasse Bankier noch ein letztes Mal.
Josef Bierbichler spielt diesen Mann, der mit aller Kraft und sinkendem Mut um das Überleben seiner Art kämpft. Basierend auf dem autobiografischen Drehbuch von Martin Rauhaus hat Hans Steinbichler (der mit seinem Debüt Hierankl auch außerhalb Bayerns Aufmerksamkeit erregte) die Geschichte für seinen Hauptdarsteller zurecht geschliffen.
Die Kamera verfolgt Bierbichler bei seiner Tour de Force und holt dann wieder aus zu weiten Winterlandschaftstotalen, die den Gemütszustand des kriselnden Helden untermalen. Schließlich schickt der Film seinen manisch-depressiven Protagonisten nach Afrika, wo Brenninger die Spur eines geplatzten Geldwäschegeschäftes aufnimmt. Die junge Deutschtürkin Leyla (Sibel Kekilli) begleitet ihn als Übersetzerin und als Schutzengel.
Es ist keine Reise, die die Erleuchtung oder die Lösung aller Probleme bringt. Aber im tobenden Straßenchaos von Nairobi blutet Brenningers selbstzerstörerische Energie langsam aus, findet er zum eigenen menschlichen Kern zurück.
Winterreise ist ein Film, dem man einige erzählerische Schwächen vorwerfen kann. Die Gegenüberstellung von Bayern und Afrika ist zwar optisch interessant, wirkt aber wie ein angestrengter Kunstgriff um die Geschichte zu einer positiven Auflösung zu treiben. Dennoch zeigt Winterreise, dass hier ein Regisseur am Werke ist, der seinen persönlichen Stil entwickelt hat, der Mut zur Melancholie beweist und die Energie Bierbichlers produktiv ins Bild setzt.
Martin Schwickert
D 2006 R: Hans Steinbichler B: Martin Rauhaus K: Bella Halben D: Josef Bierbichler, Sibel Kekilli, Hanna Schygulla
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