Willkommen bei Habib

Platzfragen

Eine Straßenkreuzung in Stuttgart ist das geografische und mentale Zentrum von Michael Baumanns filmischen Kaleidoskop

Am Rande des eher unwirtlichen Platzes betreibt Habib (Vedat Erincin) schon seit Jahrzehnten einen Imbiss, wo er neben Döner auch Currywurst und Pommes verkauft. "Irgendwann macht der auch noch Sauerkraut auf den Döner" schimpft sein Sohn Jan (Burak Yigit), der eigentlich Neco genannt werden will und sich lieber auf seine türkischen Wurzeln beruft, als so ein "Affirmationskanacke" zu werden wie der Vater. Dabei hat Jan seine zweite Heimat noch nie gesehen. Der Fluchtversuch, den er als Kind unternahm, endete an der deutschen Grenze. Aber als Sehnsuchtsort eignet sich das ferne Land für den jungen Mann bestens, der unglücklich verheiratet und mit einem sechsjährigen Sohn noch bei den Eltern lebt.

Gegenüber der Imbisstube betreibt Jans Mutter (Teresa Harder) einen Telefonshop, von dem aus in Stuttgart gestrandete Migranten in die ganze Welt hinaustelefonieren. Jeden Tag sitzt hier ein alter Mann (Klaus Manchen) in der Kabine, der gegen die eigene Demenz ankämpft und zu seiner Tochter Kontakt aufzunehmen versucht, die nichts mehr von ihm wissen will.

In der Mitte der Kreuzung campiert Bruno (Thorsten Merten) auf einer Verkehrsinsel. Bis vor kurzem war er in einem international agierenden Bauunternehmen ein hohes Tier mit Porsche auf dem Firmenparkplatz und mitternächtlichen Telefonkonferenzen. Nun verdächtigt man ihn, einige Millionen in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben.

In Michael Baumanns "Willkommen bei Habib" ist jeder auf seine eigene Art heimatlos und auf der Suche nach einer Identität. Was für den einen die Firma ist, ist für den anderen das Dorf, das er als junger Mann verließ, oder das Kind, das er vor vielen Jahren im Stich gelassen hat. Baumann verwebt die gebrochenen Biografien zu einem melancholischen Flickenteppich und schaut den Figuren bei ihren unbeholfenen Versuchen zu, das eigene Leben neu auszurichten.

Dabei wirkt allerdings die Steigerung der vierspurigen Dramaturgie hin zum reinigenden Gewitter etwas zu drehbuchseminargerecht. Immerhin verzichten Baumann und seine Co-Drehbuchautorin Sabine Westermeier auf kollektive Happy-End-Feierlichkeiten und bleiben der offenen Haltung zu ihren Figuren auch in der Zielgerade treu.

Die Stärke des Filmes liegt hier eher in der Anlage der Charaktere als in der Struktur des Plots.

Martin Schwickert

D 2013 R: Michael Baumann B: Sabine Westermaier, Michael Baumann K: Bernhard Keller D: Vedat Erincin, Burak Yigit, Thorsten Merten, 115 Min