»WILD MAN BLUES«

Ödipus bläst

Woody Allen als Musiker auf Tournee

Barbara Kopple hat Woody Allen auf seiner Jazz-Tournee quer durch Europa begleitet und dabei einen etwas altbackenen, aber doch amüsant-informierenden Doku-Streifen gedreht. Woody Allen und Jazz stehen in einer Beziehung, die Kennern seiner Filme seit langem bekannt ist. Er hat schließlich mit seiner Band den Score zu seinem Film "Der Schläfer" eingespielt. Und nicht umsonst verbringt er grundsätzlich die Montage lieber in Manhattan und spielt Klarinette, als sich in Los Angeles mit "Oscars" ehren zu lassen. Die Musik, die fast alle seiner Filme durchzieht, ist New Orleans Jazz.
Woody reist mit Noch-Geliebter, Ex-Adoptivtochter und Jetzt-Ehefrau Soon Yi Previn sowie seiner Schwester von einem Auftrittsort zum nächsten. Vom Blues keine Spur, deckt diese unspektakuläre Dokumentation von Barbara Kopple gerade die Vertrautheit zwischen Soon Yi und Woody Allen auf, ohne dabei voyeuristisch zu wirken oder fremdkörperhaft künstlich natürlich gehaltene Situationen aufzuzeichnen. Woody Allen wirkt durchweg natürlich, gelassen und manchmal schon weise. Er macht zynische Witze, mag natürlich keine Hunde und sieht sich im Verhältnis zu Soon Yi als den "old man with a sweater".
Der auffallenste Unterschied zu seinem filmischen Alter ego ist aber seine Ruhe und Gelassenheit. Woody Allen hat schon häufig darauf hingewiesen, daß er mit keiner seiner Filmcharaktere identisch ist. "Wild Man Blues" gibt ihm dahingehend recht.Er hat zwar die Ansichten eines dekonstruierten Harry über Kultur oder Gesellschaft, ist aber ein viel besonnenerer und ruhigerer Mensch.
Was Allen liebevoll-boshaft als Hardcore New Orleans Music oder "Esotherik Tunes" bezeichnet, macht den Rhythmus des Films aus. Der Film ist immer dann am interessantesten, wenn er es schafft, seine Dynamik auf die der Musik zu eichen. Dabei hat besonders eine groteske Duschszene in Mailand noch am ehesten woodyeske Züge und vereint Musik und filmische Mittel.
Natürlich erfährt der Zuschauer auch einiges über Woody Allen. Er lebt ein ruhiges normales Leben, braucht sein eigenes Badezimmer und es dauerte seine Zeit, bis er und Soon Yi ihre Beziehung öffentlich machten.
Richtig interessant sind diese Informationen aber nur für eingefleischte Fans. Erst gegen Ende, wenn wir seine Eltern kennenlernen, wird es nicht nur verdammt lustig, hier bekommt der Film noch eine weitere Dimension. Allens Mutter äußert explizit ihre Abneigung gegen seine Beziehung zu Soon Yi, erwähnt, wie gern sie ein jüdisches Mädchen bei ihrem Sohn gesehen hätte oder das Woody eigentlich hätte Apotheker werden sollen. Dann fühlt man sich unweigerlich an "Ödipus ratlos" erinnert und gönnt niemanden diese Kindheit, die Woody Allen mit dieser Mutter hatte.

Christian Gruber