DIE WELLE

Kleine Nazis

Oh wie schön ist Gruppenzwang

Der Kurs für die Projektwoche in der Schule heißt "Autokratie". Von den Schülern, die sich hier angemeldet haben, weiß kaum einer, was der Begriff überhaupt bedeutet. Sie sind hier, weil Rainer Wenger (Jürgen Vogel) der coolste Lehrer an der ganzen Schule ist und hoffen auf einen stressfreien Scheinerwerb. Als man im Zuge der Begriffsklärung schon sehr bald beim Thema "Nationalsozialismus" landet, winken die meisten nur müde ab. Nicht schon wieder. Wissen wir doch schon alles. "Ihr seid also der Meinung, dass eine Diktatur in Deutschland heute nicht mehr möglich wäre?" fragt Wenger in den Klassenraum hinein. Alle schütteln den Kopf. Nie und nimmer.

Die Frage wird der Ausgangspunkt für ein gefährliches Experiment, das der Lehrer mit seinen Schülern unternimmt. Mit sanfter Gewalt beginnt er die Gymnasiasten zu manipulieren. Zunächst wird die Sitzordnung geändert. Wer was sagen will, soll aufstehen der besseren Atmung wegen. Zwei Tage später sitzt der Großteil schon mit weißen Hemden im Unterricht - der neuen Uniform der Gruppe, die sich selbst den Namen "Die Welle" gegeben hat.

Die größere Diszipiln wird mit einem Gemeinschaftsgefühl belohnt. Bisherige Klassenaußenseiter werden integriert. Auch Freundschaften und Liebesbeziehungen ändern sich mit der Bewegung der "Welle", die bald außer Kontrolle gerät. Nachts ziehen die Schüler mit Spraydosen los und überziehen die ganze Stadt mit ihrem Emblem. Sie spüren die Macht der Aktion und beginnen auch immer stärker Andersdenkende auszugrenzen. Aber nicht nur die manipulierten Jugendlichen verändern sich. Auch der Lehrer genießt die ungewohnt starke Anerkennung der Schüler und bemerkt zu spät, dass ihm die Gruppendynamik aus dem Ruder läuft.

Ähnlich wie Das Experiment beruht auch Dennis Gansels Die Welle auf einem Versuch aus den 60er Jahren. Ein Lehrer an einer kalifornischen High-School wollte den Schülern ihre eigene Verführbarkeit vorführen. Das Experiment musste schon nach fünf Tagen abgebrochen werden, weil die ausgelöste Bewegung außer Kontrolle geriet.

Gansel ( Napola ) und sein Autor Peter Thorwart haben den Stoff nun erfolgreich in die bundesdeutsche Gegenwart übersetzt. Sehr anschaulich werden hier die einzelnen Stufen zur Ausbildung des autoritären Charakters vorgeführt. Nur gelegentlich wirken einzelne Figuren in ihrer Funktionalität zu schematisch. Der Film verhandelt sein Thema ebenso geradlinig wie differenziert und bietet genug Stoff für hitzige Diskussionen am Kneipentisch oder im Klassenraum.

Martin Schwickert

D 2008 R: Dennis Gansel B: Dennis Gansel, Peter Thorwarth K: Torsten Breuer D: Jürgen Vogel, Frederick Lau, Max Riemelt


Das Interview zum Film