»BREAKING THE WAVES« Liebe aushalten
Lars von Triers radikales Melodram Daß Filme sich ausschließlich dem Thema Liebe widmen, das kommt vor - ziemlich oft sogar. Wenn ein Regisseur wie Lars von Trier, der für solch interessante Eigentümlichkeiten wie The Element of Crime , Europa und den skurrilen Krankenhaus-Thriller The Kingdom verantwortlich zeichnet, beschließt, einen tragischen Liebesfilm zu drehen, dann darf man gespannt sein. Mit Breaking the Waves hat der dänische Regisseur ein eindringliches, kompromißloses Melodram entworfen, wie man es nur selten im Kino zu sehen bekommt. Bess (Emely Watson) hat nicht viel von dieser Welt gesehen. Aus dem kleinen Dorf irgendwo im rauhen Norden Schottlands ist sie nie herausgekommen. Der Himmel ist hier ständig in Bewegung, der Wind bläst unnachgiebig über diese karge Landschaft. Ebenso unnachgiebig sind die engen moralischen Normen der calvinistischen Dorfgemeinschaft: Alkohol, Musik, Tanz, ja selbst Kirchenglocken gelten als gottloses Zeug. Wer den strengen Regelkanon bricht, wird exkommuniziert, geächtet und nach dem Tode außerhalb des Friedhofes ohne Umschweife der Hölle übergeben. Als Bess einen Auswärtigen heiraten will, muß sie sich zunächst vor dem Ältestenrat rechtfertigen. Sie beteuert ihre Liebe zu Jan, und die Art, wie sie davon spricht, zeigt, daß sie davon nicht viel versteht. Emely Watson in der Rolle des Bess ist wohl das, was man eine Entdeckung nennt. Selten hat man Gelegenheit, auf der Leinwand in ein derart offenes Gesicht zu sehen. Geradezu hingebungsvoll widmet sich der Film in den ersten Szenen der Figur, verfolgt ihre Bewegungen mit der Handkamera, registriert in Großaufnahmen jede Miene, jeden Blick, jede noch so kleine Stimmungsschwankung. Umwerfend direkt agiert diese Bess in die Kamera hinein, ohne Umweg ins Herz des Publikums. Bess ist durch und durch naiv und vielleicht auch ein bißchen verrückt, so munkelt man im Dorf zumindest. Mit Hingabe hat sie sich der Pflege des Kirchenfußbodens gewidmet, und sie spricht mit der gleichen Selbstverständlichkeit mit Gott, wie andere mit ihrem Steuerberater telefonieren. Jan (Stellan Skaregard), ein weitgereister Bohrinselarbeiter, ist der erste Mann, mit dem sie schläft, und nach der Hochzeitsnacht scheint Bess vor Glück und Verlangen zu platzen. Nach einigen honiggoldenen Tagen muß Jan jedoch wieder für mehrere Wochen zurück zur Arbeit. Bess kommt schier um vor Sehnsucht und verzweifelt beim Blick auf den Kalender. Bess ist anders als die Anderen: Sie hält Situationen, die nicht auszuhalten sind, auch wirklich nicht aus. Sie hat keine Mechanismen zur Bewältigung von Unerträglichkeiten. Sie betet verzweifelt, Jan möge doch früher zurückkommen. Und er kommt zurück, als gelähmter Krüppel nach einem Arbeitsunfall. Bess glaubt fest daran, daß sie heilende Wunder vollbringen kann, wenn sie Jan nur genügend liebt. Ihre Liebesbeweise werden immer selbstzerstörender, und als Jan sie auffordert, sich andere Liebhaber zu suchen, tut sie auch dies nur, um ihm zu helfen. Die ganze Geschichte hört sich zugegebenermaßen ziemlich krude an, und sie ist keineswegs realitätstauglich. Aber darum geht es eben nicht. Lars von Trier hat die Absolutheitsvorstellungen in Sachen Liebe, wie sie unter der Hand in den meisten Kinofilmen verkauft werden, herausgefiltert und potenziert. Stück für Stück wird die melodramatische Schraube weitergedreht. Daß das Ganze trotzdem nicht im Kitsch versinkt, ist vor allem der Kameraarbeit von Robby Müller zu verdanken: karge Landschaft, fahle Farben, Reißschwenks, die das Cinemascope-Format aus den Fugen bringen. Alle Szenen des Films sind mit der Handkamera aufgenommen, was den Darstellern maximale Bewegungsfreiheit bietet und diesen hochemotionalen Film mit einem dokumentarischen Reportage-Flair erdet. Auch wenn Breaking the Waves manchmal zu sehr von seiner tragischen Idee besessen zu sein scheint und im Rausch oftmals den Blick fürs dramaturgisch Notwendige verliert, erarbeitet sich dieses radikale Melodram einen festen Platz in unserem filmischen Gedächtnis. Und wer die emotionale Tour de Force mit oder ohne Schnupftuch bis zum Schluß durchhält, wird sogar mit einem surrealen Happy End belohnt.
Martin Schwickert
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