»THE WAR ZONE«

Krieg im Haus

Tim Roth' Regiedebut handelt von Inzest

Vor kurzem erst ist der 16jährige Tom (Freddie Cunliffe) mit seiner Familie von London ins ländliche Devon gezogen. Völlig allein steht ihr neues Heim in der kargen englischen Küstenlandschaft. Der Vater (Ray Winstone) will hier beruflich noch einmal neu anfangen. Die Mutter (Tilda Swinton) ist hochschwanger. Als die Wehen einsetzen, macht sich die ganze Familie auf den Weg ins Krankenhaus. Das Auto kommt von der nächtlichen Straße ab und überschlägt sich. Alle überleben mit ein paar Platz- und Schürfwunden, das Baby wird noch am Unfallort geboren. Das Glück im Unglück schweißt die Familie noch enger zusammen, bis Tom eines Tages zufällig seinen Vater und die ältere Schwester Jessie (Lara Belmont) nackt im Badezimmer beobachtet. Ein hartnäckiger Verdacht wächst in ihm. Jessie weist seine Vermutungen weit von sich, aber Tom bleibt misstrauisch und wird schließlich Zeuge, wie der Vater die Tochter in einem verlassenen Bunker vergewaltigt. Lange behält er das Geheimnis für sich, um seine Schwester nicht bloßzustellen und weil er ahnt, dass die Wahrheit die Familie auseinandersprengen würde.
Filme zum Thema Missbrauch sind mit einvernehmlichen Verurteilungen schnell bei der Hand, und allzu gerne wendet man den Blick demonstrativ ab, um nicht zu genau hinsehen zu müssen. Tim Roths The War Zone schaut genau hin. Missbrauch ist hier kein Thema, sondern eine konkrete Tat, die vor der Kamera ihre ganze Zerstörungskraft entfaltet. Eindringlich zeigt der Film, dass sexueller Missbrauch in den Gefühlswelten der Kinder gleich welchen Alters verheerenden Flurschaden anrichtet und jegliche familiäre Vertrauensbasis zerstört. Dadurch, dass Tim Roth den Blick auf den Bruder als indirekt Betroffenen lenkt, löst sich der Film aus dem Täter-Opfer-Schema und öffnet den Blick für das Gesamtbild der Beziehungen. The War Zone , nach dem gleichnamigen Roman von Alexander Stuart, ist ein wortkarger, fast schon minimalistischer Film. Die Dialoge sind sparsam. Die Kamera konzentriert sich auf atmosphärische Veränderungen. Die Bilder sind von dunklen Blau- und Grüntönen durchzogen. Die Wolken hängen tief über der winterlichen Küstenlandschaft und für das Auge sind alle Fluchtmöglichkeiten in heilere Welten verschlossen. Inhaltlich und formal hat Schauspieler Tim Roth ( Reservoir Dogs, Pulp Fiction ) ein durch und durch kompromissloses Regiedebüt vorgelegt, das sich mit bemerkenswerter Sensibilität und notwendiger Härte seinem Thema stellt.

Martin Schwickert