WAHRE LÜGEN

Ein seltsames Paar
Mord im Showbiz: der Krimi mit Colin Firth und Kevin Bacon wurde in den USA als "nicht jugendfrei" eingestuft

Bei den Filmen des armenisch-kanadischen Regisseurs Atom Egoyan kam es bisher selten auf die Handlung an. Das süße Jenseits oder Exotika waren eher als Seelenerkundungen angelegt, bei denen der Weg das Ziel formulierte und der Plot nur als mäanderndes Beiwerk fungierte. Mit Wahre Lügen bewegt sich Egoyan einen Schritt aus der Kunstkinoecke heraus und erzählt eine komplexe, sauber durch konstruierte Kriminalgeschichte vor dem Hintergrund des amerikanischen Showbusiness-Betriebes der 50er-Jahre.
Lanny Morris (Kevin Bacon) und Vince Collins (Colin Firth) sind die beliebtesten Entertainer in den USA. Die beiden Komödianten treten in den wichtigsten Nachtclubs auf, und ihre TV-Shows haben sie im ganzen Land bekannt gemacht. Auf der Bühne spielt Vince den gesitteten Entertainer, während sein Kompagnon Lanny für die blödelnden Tabubrüche verantwortlich ist.
Ansonsten führen beide Stars ein wildes Leben, werfen sich massenweise Aufputschmittel ein und verlustieren sich mit ihren weiblichen Fans in noblen Hotelzimmern. Als sie eines Tages ihre Suite in Atlantic City betreten, liegt dort in der Badewanne die Leiche einer jungen Studentin, mit der sich die beiden zwei Nächte zuvor in Miami vergnügt haben. Wie die Leiche dort hingekommen ist, kann niemand erklären und die Ermittlungen gegen die beiden Entertainer werden bald eingestellt, weil sie ein wasserdichtes Alibi vorweisen können. Sie waren die letzten 36 Stunden ununterbrochen für eine wohltätige Live-TV-Show vor der Kamera und die halbe Nation hat sie bei beobachtet. Trotzdem trennen sich Lanny und Vince nach diesem Vorfall und treten nie wieder zusammen auf.
Fünfzehn Jahre später recherchiert die junge Journalistin Karen O'Connor (Alison Lohman) für eine Biografie über das legendäre Komikerduo und bietet beiden ein Millionenhonorar an, wenn sie sich bereit erklären, das Geheimnis um die Tote im Hotelbadezimmer zu lüften. Aber Geld allein reicht nicht aus, um die Wahrheit herauszufinden, und Karen lässt sich für ihre Erfolgsstory auf ein undurchsichtiges Spiel ein.
Mit Wahre Lügen entwirft Egoyan auf zwei Zeitebenen eine komplexe Plotstruktur um ein Verbrechen, das im Lichte der Öffentlichkeit steht und trotzdem im Dunkeln bleibt. Dabei geht es ähnlich wie in L.A.Confidental oder Mulholland Drive um die schwierige Suche nach der Wahrheit im glitzernden Nebel des Showbusiness-Betriebs, auch wenn Egoyan weder die filmische Brillanz des einen noch die somnambule Tiefe des anderen Vorbildes erreicht. Dennoch entsteht hier im Stil des Film Noir ein visuell äußerst attraktiver, spannender Film, der die Wahrheitssuche mit immer neuen Falltüren und Plotwendungen zu einem moralischen Labyrinth ausbaut.
Die Anleihen bei Hitchcock sind nicht zu übersehen. Das gilt vor allem für die Tonspur, auf der Egoyans Hofkomponist Mychael Danna sein ganz eigenes Suspense-Universum entwirft. In den USA sorgte der Film jedoch weniger wegen seiner künstlerischen Qualitäten für Aufsehen. Die staatliche Filmaufsichtsbehörde hielt Wahre Lügen wegen einer bisexuellen Beischlafszene, die zum erzählerischen Kern der Geschichte gehört, nicht für jugendfrei, was dazu führte, dass der Film in den USA nur mit 40 Kopien starten konnte. Und so ist Egoyans Versuch auf das Mainstream-Kino zuzugehen nicht an mangelndem Publikumszuspruch, sondern an der Prüderie von Zensoren und Kinobetreibern gescheitert.

Martin Schwickert
Where the Thruth lies. Kan. 2005 R: Atom Egoyan B: Atom Egoyan, nach einem Roman von Rupert Holmes K: Paul Sarossy D: Kevin Bacon, Colin Firth, Alison Lohman

Hier gibtïs das Interview zum Film