»DIE ROTE VIOLINE«

Wander-Geige

Die tragische Geschichte eines Kulturgutes

Im Auktionshaus "Duval" im kanadischen Montreal wird eine millionenschwere Geigensammlung versteigert. Der Saal ist voll, alle warten auf das Schmuckstück mit der Losnummer 72: die "Rote Violine", die der Meistergeigenbauer Nicolo Bussotti im 17.Jahrhundert für seinen ungeborenen Sohn baute. Während sich im Saal die Gebote in schwindelrregende Höhen steigern, rollt der kanadische Regisseur Francois Girard die (fiktive) Geschichte des ungewöhnlichen Instrumentes auf.
Mit Blut hatte der Geigenbauer (Carlo Cecchi) die Violine lackiert, nachdem Frau und Kind bei der Geburt gestorben waren. All den Besitzern, die folgten, sollte auch das Unheil folgen. Ein herzschwacher Klosterschüler wird von einem Wiener Musiklehrer (Jean-Luc Bideau) als Wunderkind entdeckt. Den Aufregungen des ersten Vorspiels bei Hofe hält der Knabe allerdings nicht stand. Noch bevor der erste Ton zu hören ist, versagt das Herz. Die rote Violine wird mit ihm beerdigt. Grabräuber und Zigeuner bringen das Instrument nach England, wo es der exaltierte Starviolonist Frederick Pope (Jason Flemyng) für sich entdeckt. Als Pope, der so gerne Komponieren und Kopulieren miteinander verbindet, von seiner geliebten Muse verlassen wird, stürzt auch er sich in den Tod. Ein Diener bringt das Instrument nach China, wo es in die Wirren der dortigen Kulturrevolution gerät. Ein beherzter Geigensammler rettet es vor dem Zugriff des kommunistischen Musikbanausentums. Erst Jahrzehnte später entdecken die chinesischen Machthaber die Sammlung und verkaufen sie an das kanadische Auktionshaus. Als Gutachter wird der Experte Charles Morritz (Samuel L. Jackson) eingeflogen. Als dieser die legendäre Violine erkennt, versucht er seine Entdeckung geheimzuhalten.
Mit einer ausgefeilten Rückblenden-Dramaturgie verfolgt der Musikfilm-Spezialist Francois Girard ( 32 Variationen über Glenn Gould ) die Reise des Instrumentes durch die Jahrhunderte und bedient dabei unterschiedlichste Publikumsinteressen. Eine Tarot-Kartenlegerin bringt ein wenig Mystik in die Geschichte, in alpinen Klosteranlagen flackert die Ästhetik von Im Namen der Rose kurz auf, der exzentrische englische Komponist sorgt für die nötige Portion Leinwand-Sex, in der China-Episode mischt sich politische Kritik mit dem Schauwert fernöstlicher Exotik, und ganz am Schluß sorgen ein paar Thriller-Elemente viel zu spät für die nötige Spannung. Über weite Strecken wirkt Die rote Violine wie eine Pauschalreise durchs Genre-Kino. Dabei wachsen die aneinander gereihten Filmminiaturen nur selten über eine kunstgewerblichen Standard-Ästhetik hinaus.

Martin Schwickert