WAHNSINNIG VERLIEBT

Dunkle Angelique

Die andere Seite der "zauberhaften Amelie"

Man wird Audrey Tautou noch oft auf der Leinwand sehen, aber ihr Gesicht bleibt für immer mit Jean-Pierre Jeunets Die fabelhafte Welt der Amelie verbunden. Noch keine 25 Jahre ist sie alt und schon eine Leinwand-Ikone. In Laetitia Colombanis Kinodebüt Wahnsinnig verliebt spielt Audrey Tautou nun auf den ersten Blick eine Wiedergängerin der feenhaften Kindfrau. Sofort scheint man mit dieser Angélique vertraut zu sein, die wie Amélie braunäugig von der ganz großen Liebe träumt. Der schmucke Kardiologe Loïc (Samuel Le Bihan) wird zum Objekt der Begierde. Mit leuchtendem Blick berichtet sie von der Affäre und ist überzeugt, dass Loïc schon bald seine schwangere Frau verlassen und mit ihr nach Florenz fliehen wird. Dann häufen sich die Unglücksfälle im Leben des Herzdoktors, und zunehmend erhärtet sich der Verdacht, dass hier dem Schicksal etwas nachgeholfen wurde.
Laetitia Colombani erzählt ihre Liebesgeschichte zunächst einseitig aus der Perspektive der verträumten Angélique. Alles sieht nach einer klassischen Seitensprungdramaturgie aus, in der die Gelegenheitsgeliebte vom Ehebrecher wieder ausgemustert wird. Aber jede unglückliche Liebesgeschichte hat zwei Versionen. Und so spult der Film zurück, reißt dem Zuschauer den Boden unter den Füßen weg und erzählt noch einmal von vorn - diesmal aus der Sicht Loïcs.
Laetitia Colombanis überraschungsreiches Spiel mit der filmischen Wahrheit überzeugt durch die Detailgenauigkeit, mit der jedes Erzählmoment noch einmal herumgedreht wird. Sogar das Dekor entwickelt ein Eigenleben und kommentiert die Seelenzustände der liebeskranken Hauptfigur. Audrey Tautou genießt es sichtlich, die dunklen Seiten ihrer vermeintlich naiven Figur langsam zu offenbaren.
Wie viele Erstlingsfilme ist auch Colombanis Kinodebüt zu sehr in die eigene Idee verliebt. Alle Kräfte sind hier in die schlüssige Umsetzung des Erzählkonzepts geflossen, für kreatives Chaos und dramaturgische Verästelungen bleibt leider zu wenig Raum.

Martin Schwickert

F 2002 R&B: Laetitia Colombani K: Pierre Aim D: Audrey Tautou, Samuel Le Bihan, Isabelle Carre