Vergissmichnicht

Yesterday

Sophie Marceau erhält ein Memo aus der Kindheit

Marie Curie, Maria Callas, Coco Chanel, Marlene Dietrich, Margaret Thatcher, Jeanne D'Arc - die großen Frauen der Weltgeschichte verwahrt Margaret (Sophie Marceau) in ihrer Schreibtischschublade. Immer wieder zieht sie das Fach auf und stöbert durch die Fotos auf der Suche nach einem starken Vorbild, das sie durch den Tag bringt. Margaret hat sich als Top-Managerin weit nach oben gearbeitet. Das Handy-Headset klebt immer im Ohr, ihre Präsentationen bei Vorstand und Kundschaft sind glanzvoll, der Vertrag mit den Chinesen steht kurz vor dem Abschluss und die Liebesbeziehung zu Arbeitskollegen Malcolm (Marton Csorkas) ist im Terminplan eingetaktet.

Aber dann kommt der 40.Geburtstag und mit ihm ein Notar, der einen versiegelten Umschlag überreicht, aus dem beim Öffnen Konfetti und einige bunte Couverts herausfallen. "Liebes Ich!" - so beginnen die Briefe und sie kommen direkt aus der Kindheit.

Gerade einmal sieben Jahre war Margaret, als sie dem Notar einen ganzen Koffer voller Briefe überreichte, die er ihr an ihrem 40.Geburtstag zustellen sollte. Bis ins kleinste Detail ist der Erinnerungsangriff vorbereitet, der der erwachsenen Margaret die Wünsche, Zukunftsvorstellungen, Träume und Traumata ihrer Kindheit wieder ins Gedächtnis rufen soll.

Es ist zwar äußerst unwahrscheinlich, dass eine Siebenjährige ihre eigene Midlife-Crisis derart genau vorprogrammiert, aber als dramaturgisches Hilfsmittel sind die bunten, fantasievoll gestalteten Briefe aus der Vergangenheit eigentlich ein ganz hübscher Einfall. Prilblumen, Zeitschriftenausschnitte, Muscheln, Perlen, Reiskörner, alte Fotos purzeln aus den Umschlägen, werden in liebevoll dekorierten Szenen zum Tanzen gebracht und künden von der wilden Anarchie der Kindheit, in der sich Gedanken und Gefühle frei in alle Richtungen bewegen konnten. In Rückblenden werden aber auch die schmerzhaften Erinnerungen wach an die Gerichtsvollzieher, die an Margaretes Geburtstag alle Möbel wegschleppten, und an ihre Sandkastenliebe Philibert.

Den kreativ gestalteten Gedächtnisschnipseln wird das freudlose, in kalten Grautönen illustrierte Leben der Geschäftsfrau gegenüber gestellt, die sich als zynisches "Material Girl" vehement gegen die Erinnerung sperrt.

Allzu plakativ malt Regisseur Yann Samuel in seiner Selbstfindungsdramödie Vergissmichnicht den Kontrast zwischen rationalem Erwachsenendasein und verträumter Kinderwelt aus und schickt seine Protagonistin auf eine äußerst vorhersehbare therapeutische Reise. Die sehr charmante und kreative Gestaltung der visuellen Oberfläche kann die küchenpsychologische Einfältigkeit nicht kaschieren, mit der hier Verdrängungsmechanismen aufgeknackt und Selbsterkenntnisprozesse voran getrieben werden.

Sophie Marceau spielt diese Entwicklung vollkommen unsubtil mit verhärteten Gesichtszügen und strenger Körpersprache, die im Verlauf der Wandlungshandlung demonstrativ und mit einer Menge Tränenflüssigkeit aufgeweicht werden. Der Kontrast zwischen fantasievoller visueller Gestaltung und biederer Botschaft machen Vergissmichnicht zu einem besonders enttäuschenden Kinoerlebnis, bei dem die ganze kreative Kraft in der Banalität der Geschichte untergeht.

Martin Schwickert

L 'Age de Raison. F 2010 R & B: Yann Samuell K: Antoine Roch D: Sophie Marceau, Maron Csokas, Michel Duchaussoy, Jonathan Zaccai