DER MANN OHNE VERGANGENHEIT

Einfach Leben

Aki Kaurismäki guckt wieder genau hin

Irgendwo aus dem Norden kommt er mit dem Zug nach Helsinki. Rauchend und schweigend, wie fast alle Helden von Aki Kaurismäki. Nachts auf der Parkbank überfallen Hooligans den Schlafenden. Ein paar Schläge mit der Baseballkeule - und das alte Leben ist für immer verschwunden. Der Arzt im Krankenhaus erklärt den Patienten für tot. Aber wenig später schnellt der bandagierte Körper wie ein Klappmesser nach oben und verlässt als wiederbelebte Mumie das Hospital. Kinder finden den Auferstandenen am Ufer des Flusses, bringen ihn nach Hause in die heruntergekommene Container-Siedlung, die zur neuen Heimat des Namenlosen und zum Mikrokosmos des Films wird. Ein Niemandsland am Hafenrand, das durch das Auge der Kamera zum Märchenland werden wird. Die Familie eines Nachtwächters nimmt den Unbekannten auf und päppelt ihn hoch. Der Mann (Markku Peltola) kann sich an nichts erinnern und beginnt ein neues Leben. Freitags putzt man sich heraus. Da wird auswärts gegessen. Bei der Heilsarmee. Aus dem tiefen Blick in die Augen der Suppenverteilerin (Kati Outinen) entwickelt sich eine Liebe zwischen gottesfürchtigem Liedgut, Altkleidersammlung und romantischem Abendmahl mit versalzenem Fleisch und Dosengemüse.

"Das Proletariat hat kein Vaterland!" rief Jean-Pierre Léaud in I Hired a Contract Killer seinerzeit etwas unvermittelt aus. Dabei hat selbiges in den Filmen von Aki Kaurismäki schon immer eine Heimat gehabt. Nach Die Wolken ziehen vorüber begibt sich der finnische Minimalist erneut an die Randzonen der Verwertungsgesellschaft. Dabei geht es Kaurismäki - im Gegensatz zu seinen britischen Kollegen Mike Leigh und Ken Loach - nie um sozialen Realismus und politische Pamphlete, sondern um die stilisierte Darstellung der Mechanik des Lebens von einfachen Leuten. Oft endete das in gediegen düsterer Tristesse, aber in Der Mann ohne Vergangenheit bringt Kaurismäki die Welt des Subproletariats zum Leuchten. In satten Farben, getaucht in warmes Spätsommerlicht, wird die heruntergekommen Containersiedlung zum heimeligen Ort. Hier wirkt jedes Bild so sorgfältig durchkomponiert, dass man es sich in die Küche hängen möchte.

Seine Kunst, in wenigen Worten alles zu sagen, hat Kaurismäki meisterhaft perfektioniert. So simpel und nackt hat noch niemand eine Liebesgeschichte erzählt. Die Helden waren in Kaurismäkis Filmen immer einfache, schweigsame Menschen. Wenn sich Markku Peltola hinsetzt, den Tabak aus der Tasche zieht, breitet sich in der Art, wie er seine Zigaretten dreht und raucht, die süße Melancholie des Lebens aus.

Martin Schwickert

Mies vallia mennelsyyttä Fin. 2002 R&B: Aki Kaurismäki K: Timo Salminen D: Markku Peltola, Kati Outinen