Verführt und verlassen Der letzte Tango in Tikrit Eine sehr schräge Dokumentation übers Filmgeschäft Ein Remake des "letzten Tango in Paris" mit Alec Baldwin und Neve Campbell in den Hauptrollen? Wem bei dieser Idee nicht dämmert, dass Alec Baldwin und Regisseur James Toback auf ihrer Suche nach Geldgebern in Cannes das alles nicht so richtig ernst meinen, der wird an Verführt und verlassen wenig Freude haben. Die beiden Herren stromerten 2012 durch die Kulissen des Filmfestivals in Cannes und lauerten Regisseuren, Schauspielern und vor allem Produzenten auf - unter dem Vorwand, Geld für "Der letzte Tango in Tikrit" einsammeln zu wollen. In Wahrheit aber entlockten sie allen Beteiligten eine Menge Anekdoten übers Geschäft und die Filmgeschichte. Das beginnt schon mit dem erstaunlich wachen Altmeister Bernardo Bertolucci, der über die Dreharbeiten mit Brando für den "letzten Tango" erzählt und wie der Kerl den Text ständig veränderte und damit mehr von sich preisgab als Bertolucci erhofft hatte (die Chroniken, nebenbei, erzählen das alles etwas anders, aber das ist nun mal Bertoluccis Version). Polanski erzählt, wie er für seinen Film "Ekel" das Budget überschritt ("statt 41.000 Pfund kostete der Film 90.000 - eine Katastrophe!"), und Coppola berichtet, wie er all seine Oscars aus dem Fenster warf, weil er kein Geld für "Apocalypse Now" auftreiben konnte und wie seine Mama dann mit den kaputten Statuetten zur Academy lief und erzählte, die Putzfrau habe das alles fallenlassen und ob man die Dinger reparieren könne. So anekdötelt sich der Film über die Zeit, und es wird zunehmend unklarer, ob Toback und Baldwin jemals mehr im Sinn hatten, als eine Schnurrensammlung zum Thema "Es ist nicht leicht, einen Film zu drehen". Entschädigt wird man allerdings immer wieder durch den finsteren Humor der beiden, vor allem Baldwins Lust an der Selbstbeschädigung kennt seit seiner genialen Performance in Tina Feys Serie 30 Rock keine Grenzen. Als Regisseur Toback mit einem der sinisteren Geldgeber allein am Tisch sitzt (Baldwin hat sich wohl verabredungsgemäß für diese Szene mit einem "Ich muss unbedingt diese SMS beantworten" plötzlich verabschiedet) fragt Toback servil: "Mein Film ist auf 20 bis 25 Millionen Dollar projektiert." Der Geldgeber schüttelt den Kopf. Toback: "Wie viel würden Sie denn für einen Alec Baldwin-Neve Campbell-Film geben?" - "4 bis 5 Millionen" ist die trockene Antwort. Überhaupt gehören die Finanzverhandlungen zu dem fiktiven Fickfilm in Tikrit zu den absurden Höhepunkten dieser HBO-Produktion. Wie da potentielle Geldgeber im Vorfeld bereits die Geschichte verändern wollen ("Wie, keine Komödie? Aber das muss witzig sein!" - "Ja, Humor ist schon drin, aber die CIA hat eigentlich..."), das kennt man nur aus der Literatur. Derlei live erleben zu können ist ebenso witzig und desillusionierend wie Ryan Gosslings Erzählung über das Leben als Schauspieler und wie man nach dem Casting zwar nicht die Rolle, aber immerhin ein Falschparken-Ticket erhält: Die Produzenten hatten über das Halteverbot ihr Schild "Casting!" geklebt. Thomas Friedrich Seduced and Abandoned. USA 2013 R: James Toback K: Ruben Sluijter. Mit Alec Baldwin, Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Roman Polanski, Bernardo Bertolucci, Ryan Gossling, Diane Kruger, Jessica Chastain, Neve Campbell, James Caan. 98 Min.
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