»VELVET GOLDMINE«

Pop & Leben

Über das kreative Hin- und Herhüpfen in den 70ern - ein Doku-Musical

Glam-Rock war das heiße Eisen der frühen 70er. Männer warfen sich in Schale, benutzten selbstsicher den Maskarastift ihrer Freundin und huldigten einem tabulosen Entdeckungswahn. Drogen und Sex waren erwünscht, egal mit wem oder was. Nicht wenige sahen sich als Nachfolger Oscar Wildes. Seine Figur überschattete und überschattet die britische Pop-Landschaft wie kein anderer Autor.
So beginnt auch Todd Haynes' Velvet Goldmine mit der Geburt des irischen Lebemanns, glorifiziert wie die Geburt Jesu. Die etwas kitschige Einführung dauert nur kurz. Recht schnell landen wir in den schrillen 70ern. Eine Gruppe ausgelassener Teens trampelt durch die Straßen Londons. Sie wollen den eigenwilligsten Star aller Zeiten live erleben: Brian Slade (Jonathan Rhys Meyers). Daraus wird leider nichts. Schon während des ersten Titels wird auf den Sänger geschossen. Inmitten eines Bettfederregens stürzt Slade zu Boden. Erst einige Tage erfährt die Fanwelt das Unfaßbare: Slades Tod war nur vorgetäuscht, ein Reklamegag, um die Maschinerie hinter dem Sänger am Laufen zu halten. Zehn Jahre später soll ein junger Journalist (Christian Bale) die Umstände erneut aufrollen.
Für den schüchternen Schreiberling bedeutet das nicht nur pop-kulturelle, sondern auch ureigene Vergangenheitsbewältigung. Damals gehörte er zu den Zuschauern des Konzertes und lebte das Leben, das ihm die Platten vorsangen.
Pop als Lebensentwurf - die immer enger werdende Verwebung von Pop und Leben versucht der britische Film zu beschreiben, zu erklären und natürlich zu verherrlichen. Velvet Goldmine (der Titel eines Bowie-Song) steckt einen zeitkulturellen Rahmen ab, dessen exemplarischer Charakter immer durchscheint.
Die 80er sind nur noch die Ära von Stadion-Rock und Reagan, von verlebten Träumen und Spießertum. Das kreative Hin- und Herhüpfen in Mode und Betten wird von der öffentlichen Moral verdammt. Insofern möchte der Film eine dokumentarische Abhandlung mit fiktiven Personen sein. Bowie, Bolan und Konsorten wirken als Vorbilder, deren Lebenswege hier vermischt werden.
Leider trägt Haynes an der Last des Historischen schwer. Er verzettelt sich in Anekdoten wie Musikstücken und vernachlässigt die Geschichte, die erzählt werden soll: Die Verwandlung von Schiffbrüchigen der Straße zu Vorreitern der Glitters.
Zwei Stunden sind für einen Film, der nicht recht Musical oder Zeitdrama sein will, zu lang. Die großartige Chance, die verschenkt wurde, schmerzt ungeheuer. In Cannes gewann der Film den "Spezialpreis der Jury für künstlerische Umsetzung", weil das neben den exzellenten Hauptdarstellern die wahre Goldmine des Filmes darstellt. Da können die fantastischen Auftritte von Ewan McGregor ( Trainspotting ) und Toni Colette ( Muriels Hochzeit ) nicht mithalten. Velvet Goldmine ist nicht mehr als fragmentarisches Kunstkino.
Bei Musikfans allerdings kommt Freude auf: Viele neue Titel von Pulp, Thom Yorke, Placebo und den üblichen Verdächtigen erlauscht man in der schleppenden Handlung.

Ulf Lippitz