»DIE UNBERÜHRBARE«

Späte Emigrantin

Die letzten Jahre der Linken - Hannelore Elser als suizitäre Schriftstellerin

In den 60er Jahren der Bundesrepublik gehörte die Schriftstellerin Gisela Elsner (Die Riesenzwerge) zu den linken Ikonen ihres Gewerbes. Dabei standen die klassenkämpferischen Positionen der Münchner Literaturdiva immer in krassem Gegensatz zu großbürgerlicher Herkunft und mondänem Lebenswandel. Als Links-Sein nach der Studentenrevolte im Westen aus der Mode kam, wurden ihre Bücher schließlich nur noch in der DDR verlegt, wo sie als antikapitalistische Westautorin zum Aushängeschild avancierte. Regisseur Oscar Roehler ist Gisela Elsners Sohn, und mit Die Unberührbare reist er zurück in die letzten Lebensjahre seiner Mutter, die 1992 Selbstmord beging.
Im Film heißt Gisela Elsner Hanna Flanders und wird gespielt von Hannelore Elsner (weder verwandt noch verschwägert). Fingerdickes Make Up, schwarzumrandete Augen und eine okkulte Pharaonen-Frisur lassen sie aussehen wie eine Außerirdische aus einen Science-Fiction-Film der 70er Jahre. Das exzentrische Äußere hält nur noch mühsam die zerfallende Persönlichkeit der nikotin- und tablettensüchtigen Schriftstellerin zusammen. Über den Fernseher flimmern die Bilder des Mauerfalls. Trabanten passieren die Grenzposten. Ostler werden mit Bananen beschenkt und krabbeln an Westwühltischen. Was in den Medien als Aufbruch gefeiert wird, nimmt Hanna Flanders nur angewidert zur Kenntnis. Im Interview mit einer jungen Journalistin flackert noch ein letztes Mal ihr gefürchteter Zynismus auf, wenn sie den Konsumfetischismus der DDR-Bürger an den Pranger stellt. Die Wende besiegelt auf weltpolitischer Ebene das Schicksal, das die linke Westautorin schon längst ereilt hat. Seit der Verschwörung der Herren vom Rowohlt-Verlag ist ihr literarischer Ruhm dem Zerfall preisgegeben. Nur noch die unterwürfigen Boutique-Verkäufer der Münchner Dior-Filiale oder der debile Portier des Excelsior Hotels hofieren sie in alter Manier. Hals über Kopf beschließt Hanna nach Ost-Berlin zu ziehen, zu den wenigen Freunden und Bewunderern, die sie noch zu haben glaubt. Aber auch die Genossen sind im Vereinigungstaumel und zeigen sich an der egozentrischen Vorzeigeautorin wenig interessiert. So treibt Hanna Flanders durch das euphorisierte Berlin, landet in einer Plattenbauwohnung am Rande der Stadt und lernt erstmalig den tatsächlichen DDR-Alltag kennen. Die späte Emigration in die untergehende Republik scheitert und besiegelt Hannas finanziellen und psychischen Ruin.
Oscar Roehlers Die Unberührbare ist nicht nur eine mutige und intime Auseinandersetzung mit der eigenen Mutter, sondern führt auch an einem Extrembeispiel die Unfähigkeit der Westlinken vor, sich mit dem Zerfall der DDR auseinanderzusetzen. Es ist kein Geheimnis, dass sich weite Teile der DKP-Mitgliederbest"nde nach der Wende in Therapiegruppen auflösten. Die statische Haltung, mit der man dort den realexistierenden Sozialismus blind verteidigte, scheitert in der Figur der Hanna Flanders prototypisch. Dass Oscar Roehler dabei die Protagonistin in keinem Moment der Lächerlichkeit preisgibt, ist ein großer Verdienst. Die brillanten Schwarz-Weiß-Aufnahmen von Kameramann Hagen Boganski tauchen den Film in eine düster-melancholische Atmosphäre und schaffen die notwendige Balance zwischen Distanz und Nähe. Durchgängig überzeugend begibt sich Hannelore Elsner in die depressiven Abgründe ihrer Figur, die persönlich und politisch aus der Zeit gefallen ist und nicht mehr zur Realität zurückfindet.

Martin Schwickert