ULZHAN

Poetischer Bringwert

Volker Schlöndorff bebildert den Zustand der Melancholie

Das Auto hat Charles (Philippe Torreton) einfach stehen lassen, als der Tank leer war. Irgendwo an einer staubigen Landstraße in Kasachstan. Pass und Geld sind ihm schon in der ersten wodkadurchtränkten Nacht abhanden gekommen. Es kümmert ihn nicht. Je mehr er von seiner eigenen Existenz auf dem über tausend Kilometer langen Weg durch die Steppe zum Khan Tengri verliert, desto besser. Zu dem Heiligen Berg an der chinesischen Grenze haben sich schon die alten Schamanen zum Sterben zurückgezogen, heißt es. Warum der Franzose hier am Ende der Welt den Tod sucht, anstatt vom Eiffelturm oder in die Seine zu springen - so wirklich schlüssig wird die Frage in Schlöndorffs existenzialistischem Off-Road-Movie Ulzhan nicht geklärt.
In erster Linie hat das wohl poetische Gründe. Denn die leergeräumten Landschaften Kasachstans eignen sich bestens, um die Einsamkeit des vor dem eigenen Leben Flüchtenden zu spiegeln. Verlassene Kolchosen, von Atomtests verstrahlte Versuchsgelände, ein ehemaliges Arbeitslager, Bohrtürme, die aus der nackten Steppe in den Himmel ragen, eine grotesk-moderne Retortenstadt aus Glas und Stahl und natürlich die Steppe selbst, in deren Weite sich der einsame Suizid-Tourist verlieren will.
Aber Charles bleibt nicht allein. Wie die alten Nomaden reist Shakuni (David Bennent) durch die Gegend, verkauft den Menschen seltene Worte und vertreibt böse Geister aus ihren Jurten. Ob er wirklich ein Schamane oder vielleicht doch nur ein Scharlatan ist - das bleibt gezielt im Ungefähren, wie so manches in diesem Film.
Und dann ist da noch Ulzhan (Ayanat Ksenbai), die Tochter des Pferdehändlers, die Charles ein Ross verkauft, damit noch ein wenig Westernmelancholie aufkommen kann. Sie folgt dem Todeskandidaten gegen dessen Willen und versucht ihn mit wortkarger Hartnäckigkeit ins Leben zurückzuholen.
Schlöndorff nimmt die Landschaft und die Menschen darin in Gebrauch, um den Seelenzustand seines schwermütigen Helden zu spiegeln. Was hier zählt ist, der poetische Bringwert, weniger die eigene Welt, die sich hinter den Orten und Menschen verbirgt.
Aber bei aller metaphorischen Aufgeladenheit ist die geheimnisumwitterte Geschichte des Mannes, der Frau und Kind verloren hat und ihnen zögernd in den Tod folgen will, in ihrem tragischen Kern etwas zu schlicht geraten.

Martin Schwickert

D/F/Kasachstan 2007 R: Volker Schlöndorff B: Jean-Claude Carrière K: Tom Fährmann D: Philippe Torreton, Ayanat Ksenbai, David Bennent