»ÜBERALL, NUR NICHT HIER«

Heul doch!

Susan Sarandon als grelle Provinz-Mutti

Wenn Susan Sarandon zu Beginn von Wayne Wangs Überall, nur nicht hier mit Sonnenbrille und wehendem Haar über den US-Highway braust, fühlt man sich zwangsläufig an Thelma und Louise erinnert. Auf der Beifahrerseite sitzt allerdings nicht Busenfreundin Thelma, sondern Tochter Ann (Nicole Portman), und die zieht ihr Basecap tief ins Gesicht, um dem Redeschwall ihrer Mutter zu entkommen. Für den Teenager ist Adele eine Alptraum-Mutter. Den Lippenstift immer ein wenig zu dick aufgetragen und die Beine in unglaublich pinkfarbene Leggings gehüllt, erkennt man an ihrem Stil genau jene Herkunft, die sie so gerne verbergen möchte. Die Alleinerziehende hat ihr langweiliges Provinzdasein in Wisconsin hingeschmissen, um in L.A. ein glamouröses Leben zu beginnen. Das neue Quartier am Rande von Beverly Hills ist zwar unmöbliert, aber es liegt wenigstens geografisch in der Nähe von Ruhm und Reichtum.
Noch besser als mit sich selbst, meint Adele es mit ihrer Tochter. Natürlich soll Ann Filmstar werden und die selbstsüchtige Übermutter organisiert für den genervten Teenager sogar Vorsprechtermine. Wenn Töchter die verpassten Träume ihrer Mütter erfüllen sollen, geht das selten gut. Ann wäre viel lieber im trüben Wisconsin geblieben, anstatt sich mit braungebrannten kalifornischen Mitschülern aus gutem Hause umgeben zu müssen. Regisseur Wayne Wang (äSmoke") lotet die Tiefen einer komplizierten Mutter-Tochter-Beziehung aus, in der sich die Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse ständig verschieben. Oftmals erscheint Ann vernünftiger und lebenstüchtiger als ihre Mutter, und mehr als einmal schämt sich die Tochter für die chaotische Mittvierzigerin. Susan Sarandon überzeugt als liebenswerte Nervensäge durch bemerkenswerten Mut zur Peinlichkeit, und die junge Natalie Portman ist eine überraschend souveräne Duellpartnerin.
Zurecht konzentriert sich Wang auf seine Hauptdarstellerinnen, ist aber zu sehr damit beschäftigt die Stimmung des Films in der Balance zu halten. Tragisches und Komisches wird allzu sorgfältig abgewogen. Immer wieder werden die Augen von Natalie Portman mit künstlicher Tränenflüssigkeit geflutet und als Nahaufnahme ins Bild gerückt. Die interessante Beziehungsstudie verkocht zu einer handelsüblichen Psychodramaschnulze und über alle Differenzen wird schließlich der klebrige Zuckerguss der Versöhnlichkeit gelegt.

Martin Schwickert