»TWISTER«

Innen hohl

Der Sturm für die ganze Familie

Twister beginnt mit einem lautstarken Überwältigungsversuch. Noch bevor die Credits eingeblendet werden, tobt der Tornado über die Leinwand und dank Dolby-Surround auch über das Publikum hinweg, quer durch den Saal und wieder zurück. Während unten im Kinosessel die Popcornbecher in der Hand zu vibrieren beginnen, werden dort oben Häuser, Bäume, Zäune und ein hilfloser Farmersvater hinweggefegt. Twister hat in den ersten Minuten sein Thema gefunden.
Der computeranimierte tödliche Wind ist der Hauptdarsteller in Jan de Bonts zweitem Spielfilm ( Speed war der erste). So etwa alle 18 Minuten hat die virtuelle Windhose (amerikanisch: twister) einen mehr oder minder spektakulären Auftritt. Zwischen den hübsch anzusehenden Verwüstungen wird eine etwas nebensächliche Geschichte erzählt, mit echten Menschen, Schicksal, Liebe gar, aber garantiert ohne Alkohol, Zigaretten, Sex. Denn Twister ist ein sauberer Katastrophenfilm für die ganze Familie.
Im Bundesstaat Oklahoma braut sich ein Jahrhundertsturm zusammen, und auf diese Gelegenheit haben die Helden dieses Films, eine Handvoll tapferer Wetterforscher, lange gewartet. Mit einem neuen Meßverfahren wollen sie den Tornado vernetzen und berechnen, das Vorwarnsystem verfeinern, um damit das Leben zahlloser amerikanischer Bürger retten zu können. Im Breitwandformat zeigt uns Twister die bedrohte Idylle: die endlos weite Landschaft mit ihren saftigen Feldern, die gutmütigen Farmer mit Schirmmütze, kariertem Hemd, mit schweren Händen, Frau und Kind.
Echte Filmhelden unterscheiden sich von normalen Menschen dadurch, daß sie voller Enthusiasmus genau dorthin laufen, wovor unsereins die Flucht ergreifen würde. Diese schlichte Erkenntnis erhebt Twister zum Erzählprinzip.
Wetterforscher allerdings ist nicht gerade ein abenteuerverheißender Berufsstand, weshalb Drehbuchautor Michael Crichton ( Enthüllung , Jurassic Park ) seine Meteorologen vor eine besonders schwere Aufgabe stellt. Um die begehrten Daten zu bekommen, müssen Jo Harding (Helen Hunt) und ihr Beinahe-Ex-Mann Bill (Bill Paxton) einen Behälter mit kleinen kugelförmigen Meßgeräten genau in die Mitte des Wirbelsturms bugsieren. Damit es noch spannender wird und weil Konkurrenz bekanntlich das Geschäft belebt, wird eine verfeindete Gruppe von Wetterforschern hinzugefügt, die ebenfalls als erste ihre diesmal würfelförmigen Meßinstrumente im Twister plazieren will. Um Verwechslungen von Gut und Böse zu vermeiden, führt das Konkurrenzteam in einer schwarzlackierten Autokaravane durch die Landschaft, während Jo, Bill und ihre Crew im sympathisch kunterbunt-geschmischten Konvoi dem Tornado hinterherjagen.
Auch wenn die Naturgewalten alles kräftig durcheinanderwirbeln, bleibt die Geschichte allzu überschaubar. In regelmäßigen Abständen bestehen die Helden meteorologisch bedingte Gefahrensituationen. In den Pausen zwischen den Stürmen wird behelfsmäßig über die Natur und den Wind philosophiert, haben Jo und Bill angesichts gemeinsam bestandener Abenteuer wieder zueinanderzufinden. Während uns Jan De Bont in seinem brillanten Regiedebut Speed atemlos und genüßlich von einer Action-Szene zur anderen hetzte, hält er sich in Twister sorgfältig an die ärztlichen Empfehlungen für Herzinfarktpatienten.
Spektakulär sind in diesem Film allein die tricktechnischen Effekte, die auf der Festplatte von Steven Spielbergs Produktionsfirma "Amblin Entertainment" zusammengemischt wurden. Es knistert und knirscht ganz heftig, Tanklastzüge, Häuser, ja sogar Kühe fliegen computeranimiert durch die Luft. Noch ist so etwas aufsehenerregend, jedoch merkt man deutlich, daß dies schon bald nicht mehr so sein wird. Schnell gewöhnt man sich daran, daß auf der Leinwand alles, aber auch alles möglich ist. Wenn Jo und Bill sich noch einmal umdrehen, bevor der Wirbelsturm auf sie zustürzt, wartet man irgendwie darauf, daß sich die Windhose in einen Dinosaurier verwandelt und der zweite Teil von Jurassic Park beginnt. Niemals werden wir uns jedoch an solch dünnblütige Drehbücher wie das von Twister gewöhnen. Stattdessen warten wir sehnsüchtig auf den Tag, an dem die kostspielige virtuelle Bildtechnologie in virtuose Hände fällt, an Leute, die genug Ideen und genug Mut haben, das Kino auf den Kopf zu stellen.

Martin Schwickert