»KLEINES TROPIKANA«

Kuba im Schwarzwald

Ein ziemlich verdrehter Krimi-Spaß

Irgendwo zwischen Hemingway und Colombo sieht der junge kubanische Polizist Lorenzo (Vladimir Cruz) seine Zukunft. Wenn die kriminalistischen Fakten zu schnöde sind, ergänzt er sie gerne durch eigene Prosakompositionen, und der rätselhafte Tod eines deutschen Touristen in Havanna bietet genug Möglichkeiten für fantastische Spekulationen. Auf dem Rücken ein Paar umgeschnallte Engelsflügel, in der Hand eine Schnapsflasche und auf dem Körper Spuren von Fett und Krokettenteig - für den Vorgesetzten ist die Sache klar: Nach einem rauschenden Maskenball hat sich der betrunkene Ausländer verwirrt vom Dach gestürzt. Auf eigene Faust übernimmt Lorenzo die Recherchen und Daniel Díaz Torres Krimipersiflage Kleines Tropikana folgt dem ambitionierten Beamten bei der Auflösung des komplizierten Falles. Wie ein mitgeführtes Videoband belegt, war der deutsche Tourist Hermann Pangloss (Peter Lohmeyer) in Havanna auf der Suche nach der eigenen Vergangenheit. Zur Zeit des zweiten Weltkrieges hatte sich sein Vater auf die Karibikinsel geflüchtet, verliebte sich dort in eine Rumba-Tänzerin und wurde zum antifaschistischen Helden, der Nazi-Spione aufdeckte und deutsche U-Boote in die Irre leitete. Unter rätselhaften Umständen mußte er in den Fünfzigern Kuba verlassen und eröffnete im schwarzwäldischen Titisee eine Bar mit dem klangvollen Namen "Kleines Tropikana". Hellsehende Fahrstuhlführerinnen, rücksichtslose Grabräuber, zwielichtige Antiquitätenhändler, exzentrische Engländerinnen, unsterbliche Zwerge, Sekretärinnen mit telekinetischen Fähigkeiten, explodierende Kroketten und eine Flasche mit teutonischem Zaubertrank - auf seiner Spurensuche gelangt der fantasiebegabte Ermittler zu immer absurderen Versionen des Kriminalfalles. "Alle Fiktion ist Lüge, aber die Lüge ist nichts weiter als unkontrollierte Fantasie über eine Wahrheit" setzt Regisseur Díaz Torres an den Anfang seines kriminalistischen Verwirrspiels.
Kleines Tropikana pflegt einen erfrischend leichtfüßigen Umgang mit dem magischen Realismus. Die Anspielungen auf den kubanischen Alltag, wie etwa der mystische Einsatz von Stromausfällen, sind zahlreich, aber weniger direkt als in Torres' letzten Film Alicia im Wunderland , dessen Aufführung in Kuba zeitweise verboten wurde. Besonders skurril wirken die Rückblenden, die das Leben des Verstorbenen im Schwarzwald zeigen und alle in der Karibik gedreht wurden. Die gesamten Kuckucksuhr-Bestände der Insel sind hier offensichtlich zusammengetragen worden, und die kubanischen Statistinnen tragen ihr Trachten-Outfit mit einer beneidenswerter Lässigkeit ...

Martin Schwickert