The Tree of Life

Eurythmie am Strand

Der Cannes-prämierte Film von Terence Malick ersäuft im Pathos

Auf gerade einmal fünf Filmen in vierzig Jahren basiert Terrence Malicks Reputation als einer der bedeutendsten amerikanischen Filmemacher seiner Generation. Sein neues Werk The Tree of Life wurde beim diesjährigen Filmfestival in Cannes mit Spannung erwartet. Nach der Pressevorführung gab es ein Pfeifkonzert, das erst allmählich vom Applaus übertönt wurde - und am Ende die Goldenen Palme. "Ein Meisterwerk!" riefen die einen, esoterischer Humbug die anderen. The Tree of Life beginnt mit einer amerikanischen Familie, die durch ein Telegramm vom Tod des 19jährigen Sohnes erfährt. Von dem tragischen Ereignis und dem Ende einer menschlichen Existenz springt der Film zurück an den Anfang allen irdischen Seins. Explodierende Sterne, Feuer speiende Vulkane, Bäume, die in die Höhe schießen, sogar ein Dinosaurier wird computeranimiert auf die Leinwand geholt, um zu bebenden Orchesterklängen die Entstehung der Welt zu illustrieren.Der ausführliche Abstecher endet mit der Geburt eines Kindes, die die Erzählung wieder zur amerikanischen Familie in den fünfziger Jahren zurückführt. Auf der Gegenwartsebene wandelt parallel dazu Sean Penn als ältester Sohn der Familie durch kalte, gläserne Architektur und erinnert sich an seine Kindheit in Waco, Texas.

Vater, Mutter, drei Söhne - in der familiären Kernzelle untersucht Malick die Entwicklung des Menschen. Der Vater (Brad Pitt) predigt den Erfolg, bringt seinen Söhnen das Boxen bei und was man sonst noch alles draußen in der harten Welt braucht. Ungehorsam und Pflichtversäumnisse werden rigide sanktioniert. Dem gegenüber vertritt die Mutter, die Jessica Chastain mit fragiler Transparenz verkörpert, das Prinzip der bedingungslosen Liebe. "Ohne Liebe" sagt sie "geht das Leben an dir vorbei" und: "Durchs Leben gibt es entweder den Weg der Natur oder den Weg der Gnade."

Bei aller philosophisch-existenziellen Aufgeladenheit wirkt Malicks Gegeneinanderstellen von "männlichem" und "weiblichem" Prinzip doch ein wenig banal. Der Sohn ist hin und her gerissen zwischen dem Kampf gegen die väterliche Zurückweisung, der bedingungslosen Mutterliebe und der Welt der Kinderspiele, in denen dem anarchistischen Geist freien Lauf gelassen wird.

Konsequent zeigt Malick die Welt aus der kindlichen Perspektive. Nur selten verlässt die geradezu schwerelose Kamera die Augenhöhe des Jungen und lässt sich immer wieder mitreißen von kindlichem Ungestüm. Die Reise in die Vergangenheit wird nicht in ein erzählerisches Korsett gezwängt und therapeutische aufgearbeitet, sondern folgt der assoziativen Form der Erinnerung. In den besten Momenten treibt man durch diese Erinnerungswelten, spürt förmlich, wie sich es angefühlt hat, Kind zu sein - bis man wieder von den hinein gewisperten Off-Kommentaren herausgerissen wird, in denen bedeutsame, rätselhafte und triviale Lebensweisheiten in spirituell-poetischer Verpackung gereicht werden. Wenn schließlich alle am Strand in hellen Gewändern himmelsgleich umeinander tanzen und einander umarmen, ist die Grenze zum esoterischen Kitsch deutlich überschritten.

Martin Schwickert

USA 2011 R&B: Terrence Malick K: Emmanuel Lubezki D: Brad Pitt, Sean Penn, Jessica Chastain