DER TRAUM IST AUS

Schlechte Zeiten

Eine Dokumentation über »Ton Steine Scherben« und die Folgen

Zwischentöne sind bloß Krampf / im Klassenkampf" befand FJ Degenhardt auf den Essener Songtagen 1968. Klingt gut, ergibt aber meistens schlechte Musik. Die Musik-Kommune Ton Steine Scherben (nebenbei: was für ein genialer Name!) hatte 1970 gesungen "Macht kaputt was euch kaputt macht". Das kling gut, war mäßig gute Musik und der Karriere-Start einer der interessantesten und konsequentesten deutschen Rockbands. Texter, Sänger und Kopf der Gruppe war Rio Reiser, der auch so schöne Zeilen schrieb wie "Wir müssen hier raus!" und überhaupt einen erfrischenden Hang zur Melancholie pflegte. Die "Scherben" waren eine Musik-Kommune ohne Geld, ohne Karrierewunsch, ohne Zukunft. Als die Band das Gefühl hatte, von der linken Szene nur noch ausgenutzt zu werden, zog man Ende der 70er gemeinsam ins Friesische, auf einen Bauernhof. Mitte der 80er brach die Gruppe auseinander, Rio Reiser startete eine Solo-Karriere, und wünschte er sich anfangs "Keine Macht für niemand", besteht sein Vermächtnis heute in dem Pop-Hit "Wenn ich König von Deutschland wär".
Christoph Schuch, bisher als Natur-Dokumentarist tätig, hat einen eher wirren Film über "Die Erben der Scherben" (Untertitel) gemacht. Mäßig professionelle Bands (um's freundlich zu sagen) wie Tocotronic , altklug Abgeklärte wie Die Sterne und Das Department oder neo-romantische Schmachtrocker wie Element of Crime stottern in die Kamera, dass die "Scherben" irgendwie die Größten gewesen seien, heute sei Politik aber als Thema tot; man wird den Verdacht nicht los: das liegt auch an den schicken Hemden, die die Jungs tragen und schließlich bezahlt werden müssen ...
Dass irgendeine Verbindung bestehe zwischen diesen vorwiegend wehleidigen Sangesbubis und den "Scherben", erschließt sich nur schwer. Dass die politische Tradition der Reiser-Jungs vielleicht eher im HipHop fortlebt, dass Die Ärzte eventuell näher an der Anarchie sind als Nina Hagen - das kommt nicht vor.
Trotzdem hat diese sehr konventionelle Dokumentation, die jede politische Erklärung verweigert, ihren Reiz. Wenn etwa der "Scherben"-Drummer erzählt, wie er sich sein Geld damals als Friedhofsgärtner verdienen mußte, wenn Amateur-Schmalfilm-Aufnahmen von der angespannt wirkenden Idylle in Friesland künden, wenn Rio Reiser auf der Bühne steht und bei jedem Song zu sterben droht, bekommt man eine Ahnung davon, was für ein Gefühl das damals war, als Privates und Politik, Rock und Randale noch zusammengehörten. "Das ganze System ist heute sehr viel subtiler und jeder steckt da irgendwie mit drin", sagt Jan Müller von den Tocotronic. Man möchte ihm zurufen: Das ist ja der Witz! Und denkt dann doch lieber an den schönen Song, der in der Mitte des Films von Britta gespielt wird: "Ich bin 2 Öltanks". Besser als nichts.

Victor Lachner

D 2001. R&B: Christoph Schuch. K: Thomas Schuch. Mit Element of Crime, Die Sterne, Tocotronic, Dritte Wahl, Das Department, Britta, Neues Glas, Best Before, Tilman Rossmy.