Top Girl

Venus im Webpelz

Tatjana Turanskyjs Nummernrevue über Sex, Arbeit und Erbärmlichkeit

Prostitution ist kein besonders glamouröser Beruf. Erst recht nicht in der Mittagspause einer Versicherungsvertreterkonferenz. Die etwas aus ihrem Bustier quellende Snacküberraschung rasselt den Dienstleistungskatalog herunter wie eine Bäckereifachverkäuferin die Brötchensorten, und irgendwo zwischen "zart-dominant" und Mehrkorn ist der erotische Kaffee kalt geworden.

Schnitt. Vier deutlich überdresste Sexarbeiterinnen stöckeln ins Bild, erstarren zu Posen, äußern unklare Parolen über Macht und was man mit ihnen machen soll, direkt an den Zuschauer. Im Gedächtnis bleiben aber nur die zu hohen Schuhe. Besonders ein Paar Superhighheels, das ohne Absätze auskommt. Das Weglassen und die Klumpfüßigkeit werden zum Emblem des Films.

Der ist der zweite der Regisseurin Tatjana Turanskyj in einer Trilogie über Frauen und Arbeit. Ohne echte Handlung erzählt Top Girl von der alleinerziehenden Helena, die gerne als Schauspielerin arbeiten möchte, aber als Jacky im Business zur Orgienregisseurin aufsteigt. Warum genau und was sie dabei denkt, muss man sich denken. Turanskyj gibt uns nur unverbundene Szenen, in denen die ausbeutenden Männer komplette Würstchen sind und die Frauen keinen Deut besser. Es gibt keinen Konflikt und kein Drama, es gibt nur Einzelszenen der Alltagsbewältigung zwischen konkretem Dildoputzen und symbolischen Arrangements: Einmal erkennt Jacky ihre Rolle in einem Staubsaugerroboter wieder, einmal scheuchen als Jäger verkleidete Versicherungsvertreter nackte Frauen durch den Wald. Und Jacky steht, herausgeputzt wie ein Zirkuspferd, auf den hackenlosen Kothurnen des Anfangs über dem halb albernen, halb sadistischen Gotcha-Theater.

Zum ersten Mal ist dabei Hauptdarstellerin Julia Hummer verführerisch geschminkt. Zum ersten Mal deutet sich so etwas wie eine Aussage an: Du kannst nicht als du selbst gewinnen. Sondern nur verlieren.

Nicht das dümmste Ende für eine postfeministische Nummernrevue.

Wing

D 2014. R + B: Tatjana Turanskyj K: Lotta Kilian, Waya Shirkhan D: Julia Hummer, RP Kahl, Susanne Bredehöft, Nina Kronjäger. 99 Min.