TIGERLAND

Vor dem Krieg

Joel Schumacher beobachtet Rekruten - und feiert das Anti-Heldentum

Der dänische DOGMA-Virus hat jetzt auch Hollywood infiziert. Mainstreamfilmer Joel Schumacher (Der Klient/Die Jury) besinnt sich in seinem neuen Film auf einfache Low-Budget-Techniken: kein Starensemble, kein Make Up, keine künstliche Beleuchtung, statt dessen junge unverbrauchte Gesichter, bewegliche Handkamera und grobkörniges 16mm-Material.
Das klingt nach DOGMA 95, aber eigentlich gab es das alles schon einmal. In den 60ern gingen die Filmemacher des cinema verité mit der neuentwickelten tragbaren 16mm-Ausrüstung los und machten sich auf die Suche nach der verlorengegangenen Authentizität des Kinos.
Kein Zufall, dass die Geschichte von Tigerland im Jahr 1971 angesiedelt ist und die Epoche mit ihrer eigenen Filmsprache beschrieben wird. Auf bunten, modischen Zeitkolorit muss das Publikum allerdings verzichten, denn einziger Handlungsort ist ein Stützpunkt der US-Armee im Niemandsland von Louisiana. Das ist die letzte Station, die die jungen Infantriesoldaten durchlaufen, bevor sie nach Vietnam verschifft werden. Keiner glaubt mehr an diesen zum Scheitern verurteilten Krieg. Weder die Wehrpflichtigen, die sich fatalistisch in ihr Schicksal fügen, noch die Offiziere, die die Rekruten drangsalieren, um wenigstens deren Überlebenschancen zu erhöhen.
Im Zentrum stehen zwei junge Soldaten. Jim Paxton (Matthew Davis) hat sich freiwillig gemeldet, weil er sich als Kriegsberichterstatter auf Hemingways Spuren machen will. Der aufmüpfige Roland Bozz (Colin Farrell) hingegen will einfach nur raus aus der Armee und widersetzt sich mit großer Ausdauer der militärischen Disziplinierung. Während die anderen aus dem Baracken hetzen, schlendert Bozz gemessenen Schrittes zum Morgen-Appell. Seine Stärke ist die innere Gelassenheit, und seine pazifistische Grundhaltung untergräbt Stück für Stück die Moral der Truppe. Bozz kennt die Dienstvorschriften genau, und dank seiner juristischen Ratschläge können zwei junge Rekruten die Armee vorzeitig verlassen.
Immer wieder schält Regisseur Schumacher aus der Uniformität der Truppe die Einzelcharaktere mit ihren persönlichen Lebensgeschichten heraus. Man merkt deutlich, dass die DOGMA-Methodik auch hier dem jungen Ensemble schauspielerischen Freiraum verschafft hat. Colin Farrell in der Rolle des aufmüpfigen Bozz legt seine schillernde Figur mit dezent subversivem Charme weitab von amerikanischen Heldenklischees an. Es gibt sie auch hier, die sadistischen Ausbilder, wie man sie aus Stanley Kubricks Full Metal Jacket kennt, und die jungen naiven Soldaten, die zu willenlosen Kampfmaschinen geformt werden sollen. Aber die Konfrontation ist weniger eindimensional in Szene gesetzt als in den Klassikern des Vietnamfilms. Ganz selbstverständlich stellt sich Tigerland auf die Seite der Deserteure und Drückeberger. Das hätte Schumacher in einer Hollywood-Produktion sicherlich nicht durchbekommen.

Martin Schwickert

USA 2000 R: Joel Schumacher B:Ross Klavan & Michael McGruther K: Matthew Libatique D: Colin Farrell, Matthew Davis, Shea Whigman