»SIEBEN JAHRE IN TIBET«

Der Dalai und ich

Jean-Jacques Annaud verfilmt Harrers Himalaja-Odyssee.

Der Titel ist Programm: Sieben Jahre in Tibet handelt davon, wie jemand sieben Jahre in Tibet verbringt, wie er dahin gekommen ist und inwieweit dieser Aufenthalt ihn verändert. Dieser Jemand ist Heinrich Harrer, geboren 1912 in Linz, und 1939, als der Film beginnt, berühmter Alpinist und Mitglied der deutschen Himalajaexpedition, die als erste den Nanga Parbat besteigen soll - "eine Sache nationalen Interesses", wie Harrer in seinen Erinnerungen schreibt.
Heinrich Harrer verkörpert 1939 das, was wir einen miesen Typen nennen: egozentrisch, ruhmsüchtig, rücksichtslos und über alle Maßen von sich eingenommen. Damit er an der Himalaja-Expedition teilnehmen kann, läßt er seine schwangere Frau in Österreich zurück - nicht gerade das Verhalten eines liebenden Ehemanns, allerdings auch längst nicht abstoßend genug, um die Wandlung, die Harrer in den sieben Jahren erfährt, wirklich zum Thema eines 140minütigen Films machen zu können. Denn diese Wandlung ist die Klammer, die den Film zusammenhalten soll: Wie der nur an sich interessierte Promi-Bergsteiger zunächst im Team der Seilschaft scheitert, sich nach Kriegsausbruch, als er als feindlicher Ausländer von den Briten interniert wird, nicht in die Lagergemeinschaft einfügen will und dadurch allen Schwierigkeiten macht, auf der Flucht sogar seinen besten Kumpel betrügt und schließlich in Lhasa landet, wo ihn die Lebensweise der Tibetaner derart umkrempelt, daß er sogar als väterlicher Lehrer des jungen Dalai Lamas bestehen kann und geläutert und glücklich nach Österreich zurückkehrt, um endlich seinen Sohn kennenzulernen und mit ihm im Schlußbild hohe Berge zu erklimmen, aber diesmal voller Demut.
Man merkt schnell: Sieben Jahre in Tibet ist in gewisser Weise eine Mogelpackung. Zwar interessieren sich Regisseur Jean-Jacques Annaud und Drehbuchautorin Becky Johnston für die Person Harrers, allerdings finden sie die tibetanische Kultur, den Dalai Lama, die Landschaft, die Bergsteigerei, die prächtigen Kostüme der Mönche und nicht zuletzt die Sache mit den Chinesen genauso interessant. Und schaffen es nicht, sich auf einen Aspekt ihres Filmes zu konzentrieren. Deshalb wirkt Sieben Jahre in Tibet gelegentlich etwas zäh: Man weiß nicht genau, worauf er hinaus will, bis man sieht, daß er, wie gesagt, einfach Heinrich Harrers Sieben Jahre in Tibet unter Verzicht auf einen dramatischen Bogen illustriert, was ja auch gar nichts Schlechtes sein muß. Handlungsorientierte Filme, die gegebenfalls jedes Gefühl ihren Plots opfern, haben wir zu Genüge, und Sieben Jahre in Tibet gehört eben nicht dazu. Daß man zunächst auf diesen Gedanken kommen kann, liegt an dem Namen, der am größten über dem Film prangt: Brad Pitt, Hollywoodschauspieler. Pitt, der, wenn man den Klatschspalten glauben kann, selbst ein ziemliches Ekelpaket ist, gibt den Harrer ziemlich überzeugend, wenn man von der meistens zu perfekten Frisur und dem oft zu malerisch in Szene gesetzten hübschen Gesicht absieht. An seiner Seite ist David Thewlis zu sehen, der uns zum Beispiel in Mike Leighs Naked überzeugte und hier den langweiligeren Part des guten Kumpels spielt - aber immerhin das Mädel kriegt. Der Himalaja wird von den argentinischen Anden dargestellt - sehr überzeugend, und die Tibetaner zum größten Teil von Tibetanern, was zusätzlich zum authentischen Touch beiträgt.
Sieben Jahre in Tibet hält sich nicht an die von Hollywood diktierten und eingeführten Erzähl-Regeln. Er schweift ab, verweilt, zeigt einfach, statt eine Handlung voranzutreiben. Das ist gleichzeitig sein Manko und seine Qualität. Er ist ein bißchen politisch, ein bißchen rührselig, er widmet sich ein bißchen dem Buddhismus, dem Alpinismus und der Landschaftsfilmerei, tippt verschiedene Aspekte kurz an, um sich wie ein Hochgebirgskolibri schnell dem nächsten Thema zuzuwenden. Ein Luxus-Film, der sich das erlaubt. Und ein Genuß für die Zuschauer, die sich ohne große Erwartungen - was Starkino, Unterhaltung oder Erleuchtungsbestrebungen betrifft - darauf einlassen.

Jens Steinbrenner