TEXAS STORY Kamele im Süden
Schrille Familiensaga Jede Familie hat ihre Geheimnisse. Bei den Whits sind es die Ohren der Männer. Seit Generationen werden die Frauen bei ihrem Anblick von wilder Leidenschaft gepackt. In einer Schatulle hebt Großmutter Whit (Grace Zabriskie) das Ohr ihres frisch verstorbenen Ehemannes auf und bedeckt es in unbemerkten Augenblicken mit beherzten Zungenküssen. Der sechsjährige Sparta (Quinton Jones) hat gesehen, wie sie es von der Leiche abgeschnitten hat und spricht seitdem kein Wort mehr. Aus der Perspektive des jungen Protestschweigers zeigt William Blake Herrons Debütfilm das Familienleben der Whits. Auf der Farm im Texas der 60er Jahre kommt der Clan noch einmal zusammen, um den alten Herrn unter die Erde zu bringen. Im Testament befindet sich neben dem geheimen Barbecue-Soßen-Rezept auch die Lebensbeichte des Großvaters, die das Bild des integren Familienoberhauptes ins Wanken bringt. Alte Gräben werden neu aufgerissen. Der Sohn des Verstorbenen Zach (Robert Patrick) beäugt seinen Cousin Clinton (Christopher Noth) schon lange mit latentem Misstrauen. Ihre Väter hatten das Farmland nach einem Streit geteilt. Clintons Vater bohrte nach Öl und wurde reich, während Zachs Familie mit einer Kamelzucht pleite ging. Zum Begräbnis angereist ist auch Tochter Miranda (Joanne Whalley), die wegen einer Affäre mit einem Indianer in Ungnade fiel und von den Eltern in eine Nervenheilanstalt abgeschoben wurde. Aus der verwandtschaftlichen Konfliktkonstellation entwirft Regisseur und Drehbuchautor William Blake Herron jedoch kein klassisches Familiendrama. Vielmehr überzeichnet er, indem er der Wahrnehmung des Jungen folgt, den Sippenzwist ins Surreale. Aus der Sicht des Sechsjährigen wird das Familientreffen zu einer grotesken Veranstaltung und die texanische Steppe zum Ort fantastischer Halluzinationen. Längst verstorbene Großväter verschiedenster Generationen stehen dem Jungen beratend zur Seite, die Probleme der Kamelzucht in den Südstaaten werden ausführlich erörtert. Mit Texas Story schmuggelt Herron eine gute Portion vom magischen Realismus des südamerikanischen Kinos über die texanische Grenze. Schade nur, dass die schräge Familiensaga mit einem aufgesetzten Massen-Happy-End wieder reumütig zu den seichten Hollywood-Standards zurückkehrt.
Martin Schwickert
Texas Funeral USA 1999 R&B: William Blake Herron K: Michael Bonvillain D: Robert Patrick, Jane Adams, Grace Zabriskie
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