TEHILIM

Wo ist Papa?

Eine israelische Geschichte ohne Ende

Der Film beginnt unvermittelt in einer Thora-Schule und er hört an einer Bushaltestelle plötzlich auf. Dazwischen führt der Weg der Geschichte immer wieder von der Tradition zur Moderne und wieder zurück. Sie erreicht kein Ziel, sie scheint auf nichts hinaus zu laufen - außer die Einsicht, dass es so nicht weitergehen kann. Das meint Regisseur und Autor Raphael Nadjari in seinem ersten in Israel gedrehten Film offensichtlich nicht politisch, sondern sehr menschlich. Und sehr israelisch.

Eli Frankel lebt mit seiner Familie ein ganz normales bürgerliches Leben in Jerusalem. Der Teenager-Sohn Menachem lernt ordentlich die alten Psalmen rezitieren, die Tehilim, und treibt sich gern nachts mit Gleichaltrigen rum. Sein jüngerer Bruder quengelt kindisch herum, die Mutter managt den Haushalt, der Großvater kommt am Sabbat zu Beten vorbei. Dann fährt eines Tages der Vater, als er die Kinder zur Schule bringen will, ohne erkennbaren Anlass das Auto in den Graben. Menachem wird los geschickt, um Hilfe zu holen, und als er mit den Sanitätern wieder kommt, ist der Vater verschwunden und der Bruder weiß von nichts.

Auch ein großer Polizeieinsatz führt zu keinerlei Einsichten. Der Vater ist weg, die Krise ist da und die normale Familie zerbricht beinahe daran, dass jeder anders mit ihr umgeht. Der Film beobachtet mit leichter Kamera fast dokumentarisch stille Trauer, ziellose Gesten oder quälende Alltäglichkeiten, wie die Rückführung des kaputten Autos oder den langsamen Behördengang. Der Großvater will immerzu große Gebetsstunden in der Wohnung organisieren, aber das entlastende Totengebet will er nicht sprechen, weil der Vater ja nur spurlos verschwunden ist, also offiziell noch am Leben. Der Mutter werden die Verwandten zu viel, während sie sich um das einfache Überleben kümmern muss, etwa das Konto, an das sie erst herankommt, wenn ein Vermisstenbescheid vorliegt.

Die Kinder hängen dazwischen und suchen einen Mittelweg zwischen Pragmatismus und religiöser Tröstung. Zum Beispiel entwenden sie Andachtsbüchlein, die der traditionelle Teil der Familie für die Trauerarbeit am Computer erstellt hat, und verschenken sie, gespickt mit Geldscheinen aus dem heimischen Küchenschrank, an Passanten auf der Straße. Soll doch jeder für den verschwundenen Vater beten, auch wenn man ihn dafür kaufen muss.

So überkreuzen und berühren sich die Linien und sehen aus wie eine Metapher. Man weiß nur nicht, wofür.

WING

I/F/USA 2007, R: Raphael Nadjari B: Raphael Nadjari, Vincent Poymiro. K: Laurent Brunet. D: Michael Moshonow, Limor Goldstein, Yonathan Alster OmU