»TANGO LESSON« Tanzstunde
Sally Potter (»Orlando«) verfilmt sich selbst Sally Potter schreibt gerade an einem Drehbuch für Hollywood, und der Schaffensprozess ist ins Stocken geraten. Immer wieder schreibt sie die gleiche Szene um. Wir sehen die Varianten der geplanten Sequenz: Models auf einer Treppe, ein Schuß fällt, ein beinloser Mann bewegt sich hastig auf seinen Armen gehend durch das Bild. Es sind die einzigen Farbfilmschnipsel in diesem sonst grobkörnig Schwarz/Weiß gehaltenen Film. Der Mord an dem Model wird nie verfilmt, denn die kriselnde Drehbuchautorin verfällt nach dem Auftritt des argentinischen Tanzvirtuosen Pablo (Pablo Veron) dem Tango. Zunächst unbeholfene Schritte und Stunden beim Meister selbst. Später folgt eine Reise nach Buenos Aires, der Hauptstadt des Tangos. Schon seit Jahren boomt in Westeuropa die Tangowelle und dem Tanz mit der durchaus anzüglichen Beinarbeit eilt der Ruf voraus, Liebe, Haß und Leidenschaft gleichermaßen in Bewegung umzusetzen. Tango - das ist der in Tanz geformte Kampf der Geschlechter, und darum geht es auch in Sally Potters Selbsterfahrungsfilm. Sally kehrt als geschulte Tänzerin nach Paris zurück und wird Tanz- und ein wenig auch Lebenspartnerin von Pablo, dem Tangokönig. Hart trainieren sie, der Meister behauptet seinen Führungsanspruch und Sally fällt es zunehmend schwerer, die Unterordnung im Tanz zu akzeptieren. Später, als Sally mit Pablo einen Film über den Tango drehen will, kehrt sich das Verhältnis um. Wir sehen die Vorbereitungen zu dem Film, den wir gerade anschauen. Nun regiert Regisseurin Sally das Geschehen und unser charmanter Macho Pablo knirscht mit den Zähnen. Wer über sich selbst spricht, macht sich angreifbar, und so ist es auch in diesem Film. Das Grundmotiv der von Midlife-Crisis gequälten Frau, die mit einem deutlich jüngeren, attraktiven Gigolo anbändelt, ist vor allem aus der französischen Filmgeschichte hinlänglich bekannt - nur daß es meistens überreife Männer sind, die sich im Kino ganz selbstverständlich an blühende junge Frauen heranmachen. Es wäre ein leichtes, Tango Lesson alle Peinlichkeiten, die ein solches filmisches Selbstbekenntnis zwangläufig in sich trägt, vorzuhalten. Belassen wir es bei der Feststellung, daß die Passagen, in denen die Regisseurin sich selbst und ihre Arbeit darstellt, sicherlich entgegen der Intension der Autorin die uninteressantesten Szenen darstellen. Die Figur der Sally bleibt blaß. Vielleicht hat sich Sally Potter mit der Mehrfachbelastung als Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Tänzerin doch ein wenig übernommen. Interessanter hingegen ist der Blick, den der Film auf den Tangovirtuosen Pablo Veron wirft. Sein Machismo wird ebenso ironisierend wie liebevoll sympathisierend dargestellt, und Pablo Veron ist wirklich die Perle dieses Films. Wenn er für Sally in der Küche einen Salat zubereitet, tut er dies in einem wunderbar durchchoreographierten Stepptanz. Das Messer hackt im Takt, die Schüssel fliegt exakt getimed durch die Luft, hier ein Beinschlag gegen die Spüle, dort einer gegen die geöffnete Schranktür und am Schluß, neben der hochgehaltenen Salatschüssel, dieses gewinnende Lächeln. Wer sich nach dieser Szene nicht in diesen entzückenden Macho verliebt, hat kein Herz im Leib. Solche Szenen bewahren Tango Lesson vor ermüdender Bauchnabelschau und feministischer Lehrstückhaftigkeit. Immer wenn das Gerangel zwischen Mann und Frau in schablonierte Parteilichkeit abzurutschen droht, gewinnen Tanz und Musik wieder die Oberhand über den Film. Diese Gradwanderung funktioniert allerdings nur bei dem Teil des Publikums, die dem Tango wohl gesonnen sind. Alle anderen werden sich in Sally Potters Tango Lesson , wie in jeder Tanzstunde, berechtigterweise zu Tode langweilen.
Martin Schwickert
|