TAKVA - GOTTESFURCHT Verwirrende Welt
Ein naiver Muslim wird an der Welt verrückt In der Türkei mögen sowohl Atheisten als auch Gläubige diesen Film. Er handelt von Muharrem, der seit Jahren ein gläubiger Muslim ist, einfältig, gutmütig, loyal. Zum Beten geht er in ein Sufi-Kloster in Istanbul. Der Glaube, der dort gelehrt wird, hat sich seit dem 7. Jahrhundert nicht weiter entwickelt. Weil Muharrems Einfalt dem Ordens-Chef gefällt, macht der ihn zum Kassierer: Muharrem soll Mieten eintreiben in Häusern und Geschäften, die dem Orden gehören. Muharrem hat jetzt einen Anzug, ein Handy und einen Dienstwagen mit Chauffeur und fährt in die große Stadt. In der Bank muss er sich nicht in die Warteschlange stellen, er wird sofort zum Kassierer durchgewunken. In der Moschee sitzt er weit vorne. Er wird von Männern gegrüßt, die ihn früher nicht beachteten. Der Chef des Ordens bietet Muharrem schließlich eine seiner Töchter zur Ehe an. Es ist eine der sanften Ironien von Takva , dass der Held durch die Besitztümer seines Ordens mit "westlichen Werten" konfrontiert wird. Er, der Exil-Albaner, der nie aus seinem ärmlichen Stadtviertel herauskam, steht plötzlich mitten in der glitzernden Metropole Istanbul, unter halbnackten Schaufensterpuppen zum Beispiel, die für Unterwäsche werben. Man trinkt in der Öffentlichkeit Alkohol. Pärchen umarmen einander. Kein Wunder, dass Muharrem, der eh schon unter feuchten Träumen leidet, langsam die Kontrolle über sich und sein Leben verliert. Takva ist ein schön fotografierter Film mit einem großartigen Hauptdarsteller: Erkan Can als Muharrem durchleidet das Leben seiner Hauptfigur mit ängstlichem Trotz. Er will Gott gefallen, aber er versteht nicht, was die Gottesmänner von ihm wollen. Wieso darf er einer arbeitslosen Familie nicht die Miete erlassen? Warum darf er einen saufenden Mieter nicht vor die Tür setzen? Regisseur Özer Kiziltag und Autor Önder Cakar drehten ihren Film in einem Sufi-Kloster mit Genehmigung des dortigen Scheichs. Dem hat der Film gefallen, auch wenn der Orden in Takva nicht gut wegkommt. Manchmal stehen protzige Limousinen vor dem Kloster. Die Tochter des Scheichs wird in edlen Juwelierläden gesehen. Vieles wird in Takva angedeutet, wenig gesagt. Manches ist schwer zu verstehen. Man hat Mitleid mit Muharrem, der sich morgens mal wieder mit kaltem Wasser die Folgen seiner feuchten Träume aus der Unterwäsche schrubbt. Ob seine schlichte Welt mal die bessere war, ahnt man nur. Die Frage stellt sich in Takva nicht mehr, weil die Zeit darüber hinweggegangen ist.
Victor Lachner
T/D 2006. R: Özer Kiziltag. B. Önder Cakar. K: Soykut Turan. D: Erkan Can, Güven Kirac, Meray Ülgen, Settar Tanriögen
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