TAKING WOODSTOCK Legende im Matsch Ang Lee erweist sich wieder einmal als präziser Geschichtsschreiber der US-Geschichte Es ist Sommer. Genauer gesagt der August des Jahres 1969. Überall im Wald haben die Hippies Zelte aufgeschlagen. Sie schlendern durch das Unterholz. Ein Liebespaar schreckt aus dem Gebüsch hervor. Unten am See sieht man nackte, badende Körper. Untrainiert, mit wehendem Kopf- und Schamhaar. Dann durchdringt ein ferner Klang den sommerlichen Waldfrieden. Alle verharren, lauschen angestrengt in die Richtung, aus der man schemenhaft ein paar E-Gitarren-Riffs erkennen kann. "Ich glaube, sie haben angefangen" flüstert Elliot fast. Die Rede ist vom Woodstock-Festival, dem prägenden Event der amerikanischen Hippie-Bewegung, das noch jahrzehntelang auf die restliche Welt ausstrahlte. Janis Joplin, Jimi Hendrix, Joe Cocker, Joan Baez - die größten Musiker der Rockgeschichte gaben sich hier auf einer Kuhwiese 150 Kilometer westlich von New York ein Stelldichein, und über eine halbe Millionen Fans zeigten der Welt eine Vision vom gewaltfreien Glück. Pünktlich zum 40jährigen Jubiläum des Festivals nähert sich Ang Lee mit Taking Woodstock dem jungen Mythos. Lee ist ein Meister des Über-Bande-Spielens, und so darf es nicht verwundern, dass man fast nichts vom eigentlichen Event zu sehen bekommt. Die Bühne, die für drei Tage zum Nabel der Welt wurde, sieht man nur einmal aus weiter Entfernung als leuchtendes Raumschiff in einem wogenden Meer aus Zuschauern. Elliot (Demetri Martin), der Held dieser skurrilen Geschichte, versucht zwar mehrfach zum Zentrum des Geschehens vorzudringen. Aber er bleibt immer wieder auf der Strecke in der friedlichen Menschenmasse, lässt sich von einem Hippie-Paar knutschend in den VW-Bus ziehen, nimmt seinen ersten LSD-Trip oder verliert sich in einer lustvollen Schlammschlacht. Dabei hätte es ohne Elliot Woodstock vielleicht gar nicht gegeben. Nachdem die Nachbargemeinde dem Hippie-Festival die Genehmigung entzogen hat, holt Elliot, der durch ein demokratisches Missgeschick zum örtlichen Handelskammer-Präsidenten gewählt worden war, das Festival in sein Heimatdorf, ohne wirklich zu ahnen, welche Größenordnung die Veranstaltung haben wird. Statt sich in musealer Event-Geschichtsschreibung zu üben, spürt Ang Lee mehr dem Lebensgefühl nach. Ohnehin ist das eigentliche Kulturevent in Michael Wadleighs legendärer Woodstock -Dokumentation schon gewürdigt worden. Der Blick aus dem Augenwinkel, den Lee auf das Weltereignis wirft, ist dafür um so genauer, was die Stimmung jener Jahre angeht, ohne deren weniger idealistischen Niedergang gleich mitdenken zu müssen. Mit seinem Fokus auf die Provinz- und Familiengeschichte und die Konfrontation der Lebenswelten schleicht sich auch ein skurriler Humor ein, der die gänzlich unspektakuläre Katharsis des jungen Helden, der zu seiner schwulen Identität findet, bestens ausbalanciert und das Zeitporträt von jeglichem Retro-Kitsch befreit. Martin Schwickert USA 2009 R: Ang Lee B: James Schamus nach dem autobiografischen Roman von Elliot Tiber K: Eric Gautier D: Demetri Martin, Imelda Staunton, Harry Goodman
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