TAGEBUCH EINES SKANDALS

Erpresste Gefühle

Cate Blanchett und Judi Dench sollen Freundinnen werden

Barbara (Judi Dench) ist eine Lehrerin aus altem Schrot und Korn. Eine hochgezogene Augenbraue reicht aus, um die Klasse zum Schweigen zu bringen. Im durchliberalisierten staatlichen Schulsystem verteidigt sie nicht ohne den gebührenden Zynismus die alten, britischen Bildungstraditionen. Auf die jungen Kollegen schaut sie mit Verachtung herab. Im Lehrerzimmer wird sie respektiert, aber jeder macht einen Bogen um sie.
Ganz anders die neue, schöne Kunstlehrerin Sheba (Cate Blanchett), die vom Kollegium wie eine Bienenkönigin umschwärmt wird. Barbara beobachtet die Neue lange aus der Distanz. Im Off hören wir ihre Gedanken und Tagebuchaufzeichnungen, in denen sie die unsichere Berufsanfängerin mit der Genauigkeit einer Insektenforscherin analysiert, um sie mit einem streng durchdachten Schlachtplan zu ihrer Freundin zu machen.
Nach einem Streit in der Klasse, den Barbara für die überforderte Kollegin schlichtet, kommen sich die beiden Frauen näher. Zur Dinner-Einladung in Shebas trautem Familienheim erscheint Barbara nervös und vollkommen overdressed. Im Gartenatelier schüttet Sheba ihr Herz aus, berichtet von der erlahmenden Ehe mit dem deutlich älteren Universitätsdozenten Richard (Bill Nighy) und den Anstrengungen des Mutterdaseins. Wenig später beobachtet Barbara in einem Nebengebäude der Schule Sheba mit einem 15jährigen Schüler in einer eindeutigen Situation. Am nächsten Tag stellt Barbara ihre Freundin zur Rede und nutzt die Gelegenheit, die Kollegin fortan emotional zu erpressen.
Richard Eyre (Iris/Stage Beauty), der hier einen Roman von Zoë Heller verfilmt, erzählt die Geschichte von den Abgründen einer ungleichen und unerwiderten Liebe mit einer gelungenen Mischung aus präziser Charakterstudie und vorandrängender Erzähldynamik.
Das Zusammentreffen von Judi Dench und Cate Blanchett ist der eigentliche Schatz des Films. Judi Dench als kühl berechnende, sophisticated Lady und Cate Blanchett als ebenso offenherzige wie orientierungslose Midlife-Crisis-Mutter sind ein höchst spannendes Leinwandpaar, gerade auch weil sie im Verlauf des Films nicht auf ihre Rollen festgeschrieben bleiben.
Eyre, der sich hier wenig um die politisch korrekte Ausleuchtung des lesbischen Begehrens seiner Hauptfigur kümmert, treibt die Handlung um Psychoterror, Intrigen und Skandal zügig voran. Einzig der aufdringlich anschwellende Musikscore von Philip Glass (The Hours) nervt gründlich, weil er dem Publikum Emotionen zu diktieren versucht, die es durchaus eigenständig hätte entwickeln können.

Martin Schwickert

Notes on a Scandal GB/USA 2006 R: Richard Eyre B: Patrick Marber nach einem Roman von Zoë Heller K: Chris Menges D: Judi Dench, Cate Blanchett, Bill Nighy , 92 Min.