Tabu - Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden

Georg und Gretel

Künstler-Geschwister lieben sich irgendwie zu Tode

Er lässt sich die Haare lang wachsen und schreibt dunkle Gedichte, sie spielt wild Klavier und hängt an ihrem Bruder seit Kindertagen. Auf offensichtlich ungesunde manische Weise. Aber irgendwie ist die ganze Familie gezeichnet. Vater Trakl sitzt mit Schlaganfall im Rollstuhl, die Mutter hängt an der Laudanum-Flasche und der Sohn bringt es auf dem Wege einer Apotheker-Lehre zu allerlei Drogenerfahrungen, einem Pharmazie-Studienplatz in Wien und einer Hure mit Holzbein. Jedenfalls in der Version des Inzest-Märchens, für die Drehbuchautorin Ursula Mauder recht frei mit den Schicksalen von Georg und Margarethe Trakl umging.

Regisseur Christoph Stark zerstreut jeden Biopic-Verdacht auch damit, Lars Eidinger als Georg Trakl einzusetzen, dem er überhaupt nicht ähnlich sieht. Und den Krieg ganz weg zu lassen, zu dem sich Trakl freiwillig meldete und der ihn, sagt die normale Trakl-Forschung, derart mit Blut und Dreck und Hoffnungslosigkeit verstörte, dass er sein Kokain überdosierte und verstarb.

Lars Eidinger leidet eher daran, dass Peri Baumeister in ihrem beeindruckenden Leinwanddebüt übernervös in den Gedichten des älteren Bruders herumredigiert und jetzt endlich die alles verzehrende Liebe einfordert, die sie als Kinder wohl mal hatten und vor der er nun in wechselnde Räusche flieht. Er widert sich an und er hechelt ihr nach, er fühlt sich verstanden und zugleich verzweifelt. Er gleitet mit schwerem Leib und träumendem Gesicht durch die Künstlerwelt Wiens, trifft Oskar Kokoschka und inszeniert aus Lust oder Selbstbestrafung seine Schwester als Attraktion im Hinterzimmer. Zugleich treibt er sie fort in die Ehe mit ihrem Kompositionslehrer, und sie treibt ihn dazu, ihr ein Kind zu machen.

Das ist alles recht eindringlich gespielt, überzeugt aber nicht, weder als erfundene Biografie einer fordernden Schwester und emanzipierten Frau, noch als Tabu-Drama grenzenloser Künstler, die dann eben doch an gesellschaftlichen Zwängen scheitern. Wie eng die Spielräume in Wien am Anfang des letzten Jahrhunderts waren, ist nie zu sehen.

Das Buch interessiert sich gar nicht für die historische Wirklichkeit, der Film leidet deshalb unter dem Zwang zum Kostüm. Dabei inszeniert Stark weithin modern. Womöglich wären die Archetypen einer unmöglichen Liebe im Alltagsdress sogar deutlicher geworden. Schließlich ist Inzest auch heute noch ein Tabu. Und dass sich die Schwester umbringt, weil ihr drogenliefernder Bruder einen Krieg nicht überlebt, das kann auch heute passieren.

Wing

D/F/Ö/Lux 2011. R: Christoph Stark B: Ursula Mauder K: Bogumil Godfrejów D: Lars Eidinger, Peri Baumeister